Umgang mit der Wut der Kinder in der bedürfnisorientierten Kinderbetreuung

Wütend ist jeder Mensch das ein oder andere Mal. Die Wut gehört als Gefühl genauso zu uns wie die Trauer, die Freude und die Angst. Die Frage ist nur, ob wir eine Wahrnehmung für diese Wut haben, merken, wann sie in uns aufsteigt und ob wir wissen, was sie uns sagen will.

Zuerst beginnt das Herz zu klopfen, der Magen verkrümmt sich und das Gefühl steigt erst langsam, dann immer schneller in uns auf. 

Wenn wir diese Zeichen nicht spüren, platzt die Wut zu einem späteren Zeitpunkt geballt aus uns heraus und wir wissen nicht mehr, wo kam die Wut denn genau her? Es ist schwer herauszufiltern, was genau die Auslöser waren.

Wut rechtzeitig wahrnehmen

Wenn wir es schaffen rechtzeitig zu merken, dass wir wütend werden, kann das oft verpönte Gefühl der Wut unter Umständen sehr nützlich sein.

Es zeigt, mir geht es nicht gut, irgendwas stimmt hier nicht, ich gehe über meine Grenze, jemand anders geht über meine Grenze, ein Bedürfnis ist nicht ausreichend erfüllt.

Auf dieser Basis habe ich dann die Möglichkeit, für mich eine persönliche Lösung zu finden, die dazu beiträgt, dass ich mein inneres Gleichgewicht wiederfinden kann. 

Ich gehe folglich verantwortlich mit meinem Gefühl um, bin nicht von Schuldgefühlen geplagt, muss nicht in den Kampf, die Aggression oder die Resignation gehen. 

Umgang mit der Wut der Kinder in der bedürfnisorientierten Kinderbetreuung

Dieser Umgang mit Wut ist ein wichtiger Baustein der Bedürfnisorientierten Kinderbetreuung. Wir Fachkräfte können die Kinder darin unterstützen, ihre Wut wahrzunehmen, die Ursachen für sie herauszufinden und gemeinsam mit ihnen Lösungsstrategien zu entwickeln. 

1) Wahrnehmung der Wut

Wir Fachkräfte begleiten die Kinder in der Wahrnehmung ihrer Wut, machen sie darauf aufmerksam: 

“schau mal, du bist gerade wütend”, 

“merkst du, wie sich das anfühlt?” 

“ein Groll steigt langsam in deinem Bauch empor oder wie fühlt sich das genau bei dir an?” 

2) Ursachen für die Wut ergründen

Wir können den Kindern helfen, die Ursache für ihre Wut und das Bedürfnis dahinter herauszufinden und zu verstehen. Sie schulen dadurch ihre Wahrnehmung für die Entstehung ihrer Wut.

“achso, du wolltest auch die Schaufel haben, verstehe”

“der Benni hat dir das Laufrad weggenommen, das macht dich so wütend”

“verstehe, du hast eine tolle Sandburg gebaut und die ist jetzt kaputt?”

 

3) Lösungsstrategien mit dem Kind entwickeln

Im dritten Schritt kann man gemeinsam mit dem Kind eine Strategie erarbeiten, wie es sich sein unbefriedigtes Bedürfnis erfüllen kann. 

“hast du eine Idee, wie du auch so eine Schaufel bekommen kannst?

“magst du Lara mal fragen ob du die Schaufel auch mal haben kannst?”

“du würdest dem Jan gerne sagen, dass du wütend bist weil er deine Sandburg kaputt gemacht hat?” “Magst du zu ihm hingehen?” Soll ich mitkommen?”

Umgang mit Wut als wichtige Sozialkompetenz

Durch diese drei Schritte lernt ein Kind, dass Wut gut ist und nichts bedrohliches. Es lernt, dass es seine Wut nicht wegschieben oder unterdrücken muss. Es lernt, dass es einen Weg gibt, das Gefühl konstruktiv zu nutzen. Es lernt, seine Wut rechtzeitig wahrzunehmen, ihren Ursprung zu verstehen und eine Lösung für seine Bedürfnisse, die hinter der Wut stehen, zu finden. 

Der Umgang mit Wut ist eine äußerst wichtige Sozialkompetenz, die Kinder bereits im Kindergartenalter lernen können. Denn Wut hilft uns für unsere eigenen Bedürfnisse einzustehen. Wir können ihre Energie nutzen um „Ja“ zu sagen, „Nein“ zu sagen, „bleibe“ zu sagen oder „geh weg“ zu sagen. Wir können die Wut als Motor unserer inneren Bedürfnisse verstehen und nutzen. Unausgelebte Wut führt hingegen dazu, dass wir traurig werden oder sogar depressiv (Deutschlandfunk Kultur).

Manche Kinder sind scheinbar nicht wütend

Manche Kinder zeigen keine Wut, so scheint es häufig. Das liegt allerdings nicht daran, dass sie nicht wütend sind, sondern dass sie keine Platftorm erhalten, auf der diesem negativen Gefühl Raum gegeben wird. Kinder merken schnell, bei wem Wut erwünscht ist und bei wem nicht. Sie passen sich an, schlucken ihre Wut runter, entfernen sich von sich selbst.

Zu oft erlebe ich es noch in Einrichtungen, dass die Wut der Kinder runtergespielt, nicht ernst genommen wird, nicht genutzt, überspielt oder unterdrückt wird. Ich höre noch viel zu oft die Sätze:

“jetzt beruhig dich mal”

“der bockt schon wieder”

“unser Wutzwerg mal wieder”

“komm wir schicken den Ziegenbock raus”

“und da fliegt die Wut aus dem Fenster”

Damit wird die Wut der Kinder nicht ernst genommen. Diese Sätze haben immer die gleiche Botschaft:

„wir wollen die Wut hier nicht haben“ „tue etwas, damit du nicht mehr wütend bist“.

Verfolgen wir jedoch unbewusst oder bewusst als einziges Ziel, irgendwie die Wut der Kinder wegzuschieben, weg zu bekommen, hat das Kind wenig Möglichkeit sie zu spüren und für sich etwas über sich zu lernen. Denn wie soll ein Kind, das seine Wut nicht zeigen durfte, lernen, wie es mit ihr umgeht? Kinder unterdrücken folglich ihre Wut und entwickeln womöglich bei aufkommender Wut unbewusst Schuldgefühle.

Kinder mit ihrer Wut alleine lassen

In der Wut der Kinder haben wir oft das Bedürfnis zu flüchten. In uns steigt der Fluchtreflex aus dem Stammhirn empor und wir schaffen es nicht körperlich präsent und emotional in Verbindung mit dem Kind zu bleiben.

Kinder mit ihrer Wut alleine zu lassen, empfinden diese wie eine Bestrafung (s. Quelle)

Wenn sie wütend werden brauchen sie unsere Präsenz, das Gefühl, wir lassen sie nicht im Stich. Auch wenn sie wütend werden sind wir für sie da. Sie brauchen das Gefühl ich werde auch wahrgenommen, angenommen, respektiert und toleriert, wenn die Wut in mir aufsteigt. Es ist jemand da, der mich tröstet und bei mir ist. Das spendet Trost und verringert die Angst vor der nächsten Wut.

Passive Aggressivität im Erwachsenenalter

Wenn Kinder lernen, dass ihre Wut nicht willkommen ist, zeigen sie diese später im Erwachsenenalter häufig in passiv aggressiver Form. Sie haben verinnerlicht,

“offen sollte ich meine Wut lieber nicht zeigen. Das hat negative Konsequenzen für mich”.

Ihre passive Aggressivität zeigt sich beispielsweise im chronischen zu spät kommen, Augen rollen, körperlich wegdrehen, Herabwürdigung des anderen,  Ausweichen von Konfliktgesprächen, Intrigen spinnen, Ärgern, sich selbst schlecht reden uvm. Sie wissen einfach nicht, wann wurde ich warum wütend und wie kann ich meine Wut in ein konstruktives Handeln umwandeln.

Die Wut ist bei uns Menschen also da. Die Frage ist nur, wie gehen wir mit ihr um? Was lernen wir aus ihr? Erlauben wir ihr zum Ausdruck zu kommen und sie als Zeichen für uns selbst wahrzunehmen.

Heißen wir sie in den Betreuungseinrichtungen also jeder Zeit willkommen. Lernen wir gemeinsam mit den Kindern, wie wir sie feiern und für uns nutzen können.

„Juhuuu, wir sind wütend!“ „Wut ist etwas tolles!“

Begleiten wir die Kinder in der Kinderbetreuung darin bedürfnisorientiert ihre Wut zu verstehen. Das ist die beste Vorbereitung auf ein glückliches, verantwortungsbewusstes Leben.

Deutschlandfunk Kultur: https://www.deutschlandfunkkultur.de/emotionsforschung-wer-wut-unterdrueckt-kann-depressiv-werden.976.de.html?dram:article_id=466223 (Letzter Zugriff: 19.01.2020)


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