5 Alternativen für eine Auszeit als Strafe

Bekannte und manchmal noch angewandte Formen der Auszeit sind beispielsweise das “time out”, der  Auszeitstuhl, die Auszeit in der Garderobe oder die Auszeit vor der Tür. Diese Erziehungsmethoden sind eine Form der Bestrafung, für die kindliche Psyche ungesund und für die kindliche Entwicklung schädigend. Begründungen dafür beschreibe ich in meinem Artikel: „die Auszeit in der Garderobe ist Kindeswohlgefährdung!“. Um eine Auszeit als Bestrafung zu vermeiden können nun folgende Alternativen in der Praxis angewandt werden:

  1. Klares Signal und Schutz

Bei körperlichen oder psychischen Übergriffen sollte ein klares Signal gesendet („Stopp!“) und schützend eingegriffen werden (Kind und sich selbst schützen). Dabei eine wertschätzende, wertfreie, zugewandte Haltung einnehmen. Nicht aus dem Kontakt gehen.

  1. Gefühle und Bedürfnisse sehen

Die Gefühle des/der Kinde/r verbalisieren („du scheinst dich sehr zu ärgern“) und die Bedürfnisse hinter dem Verhalten entschlüsseln („kann es sein, dass du das Auto haben wolltest?“). Bei der Erfüllung der Bedürfnisse unterstützung anbieten („wollen wir mal gemeinsam fragen, ob du das Auto haben darfst?!“).

  1. Hilfe holen

Den eigenen Notstand wahrnehmen und erkennen. Eine andere Fachkraft fragen, ob sie helfen kann/ übernehmen kann? Achtsam das innere Stresslevel wahrnehmen (an innerem Ampelssystem ablesen: „bin ich auf gelb oder schon auf rot?!“, einführen von Codewörtern: wenn ich „Tannenbaum“ sage, brauche ich unbedingt deine Hilfe!“

  1. Selbstfürsorge

In Situationen, in denen Strafen verhängt werden wollen, sind Erwachsene selbst voller Wut. Diese Wut macht auf ein eigenes unerfülltes Bedürfnis aufmerksam. Dann sollten die Erwachsenen sich um sich selbst kümmern, tief durchatmen und sich wertfrei fragen: Wie geht es mir? Was fühle ich? Was denke ich? Was brauche ich? Ich darf mir selbst eine Auszeit gönnen und mir erlauben eine Pause zu machen.

  1. Eigene Triggerpunkte reflektieren

Die Vehaltensweisen der Kinder sind nicht die Ursache für die heftige Reaktion des Erwachsenen, nur der Auslöser. Deshalb sollten Erwachsene sich im Nachhinein reflektieren: “welche Situationen bringen mich an meine Grenzen und warum, welche Situationen triggern mich? Sind es immer wieder die gleichen Situationen? Und womit hat das zu tun, dass an der Stelle so ein innerer Knopf gedrückt wird? Mit eigenen konflikthaften Themen, Erfahrungen in der eigenen Biografie?”


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Gibt es ein zu viel an Nähe im pädagogischen Kontext?

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Es hält sich in der pädagogischen Praxis zum Teil immer noch hartnäckig der Glaube, dass zu viel körperliche und emotionale Nähe den Kindern schaden könnte. Die Angst ist groß, dass Kinder bei zu enger Bindung zu den Fachkräften viel weinen, sich nicht lösen und nicht selbständig werden könnten. Pädagogische Fachkräfte sollten die professionelle Distanz wahren, um ein Kind nicht zu sehr an sich zu binden. Zu viel emotionales “Gedusel” sei wenig professionell und würde das Kind in seiner Entwicklung hemmen, so immer wieder die Meinung.

Aber gibt es wirklich zu viel Nähe? Eine zu enge Bindung zwischen Fachkraft und Kind?

Im familiären Kontext hat es sich mittlerweile rumgesprochen, dass Kinder nur schwer verwöhnt werden können, dass sie von körperlicher und emotionaler Nähe profitieren, eine innere Stärke aufbauen, dass sie gesünder und stressresistenter sind als Kinder, die in emotional kühler Atmosphäre groß werden.

Pädagogische Fachkräfte sind verunsichert

Pädagogische Fachkräfte sind allerdings immer wieder verunsichert: wie viel Nähe darf ich zulassen? Wie viel Nähe ist in Ordnung, um immer noch professionell zu handeln, um die professionelle Distanz zu wahren? Schließlich bin ich nicht die Mutter oder der Vater. Ich arbeite doch nur ergänzend zur Familie und möchte den Eltern keine Konkurrenz machen. Auch werde ich sonst von meinen Kolleginnen komisch angeschaut.

“meine Kollegen sagen dann zu mir, ich wäre zu eng mit den Kindern weil sie weinen wenn ich in die Pause gehe”

Gibt es ein zu viel an körperlicher Nähe im beruflichen Kontext?”

“man muss doch die professionelle Distanz wahren. Aber wenn die Kinder immer wieder von mir auf den Arm genommen werden wollen?! Was soll ich dann tun?”

Nähe ist für die pädagogische Arbeit wichtig

Ich kann alle Zweifelden beruhigen, auch im pädagogischen Kontext gibt es kein zu viel an körperlicher und emotionaler Nähe. Ich spreche nicht von übergriffiger, sexualisierter Nähe, sondern einer Bedürfnis gerechten Nähe, die auf die Signale der Kinder angepasst ist – eine Nähe, die von Kuscheln, auf den Arm nehmen, gut zureden, zugewandt sein geprägt ist. Eine Nähe, bei der die Grenzen aller Beteiligten gewahrt werden (siehe dazu unten den Abschnitt : „zu viel Nähe gibt es nicht – drei Ausnahmen“)

Insbesondere im Krippenbereich sind kleine Kinder sogar auf die emotionale Zuwendung von Erwachsenen angewiesen. Sie bauen eine Bindung auf, die davon geprägt ist, dass die Bindungsperson ihre Signale versteht und ihnen diese Signale mit einer passenden Handlung beantwortet. Dabei zeigen Kleinkinder für gewöhnlich sehr häufig Zeichen, die darauf schließen lassen, dass sie körperliche Nähe benötigen. Es ist ihr Grundbedürfnis durch emotionale und körperliche Nähe zum Erwachsenen Sicherheit und Regulation zu erfahren. Auch durch pädagogische Fachkräfte.

Der Stress-Regulations-Behälter – je voller desto entspannter

Durch emotionale Regulation und Körperkontakt wird das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet. Dieses Hormon wiederum sorgt dafür, dass Stress, also Cortisol im Blut, abgebaut wird (Onlinequelle)

Stellen wir uns vor, ein Kind hätte ein inneres Behältnis, das je nach Menge der Nähe und Zuwendung stark oder weniger stark gefüllt ist. Bekommt ein Kind viel Körperkontakt, ist das Behältnis gut gefüllt. Dieses gefüllte Behältnis ist gleichzusetzen mit innerer Entspannung und Ausgeglichenheit. Je voller das Glas also an Zuwendung ist, umso entspannter ist das Kind. Im Umkehrschluss bedeutet das, wenn ein Kind lange Zeit keine Co-Regulation z.B. durch Körperkontakt erfahren hat, bleibt sein Stress-Regulations-Becher leer und das Kind ist stark gestresst.

Nähe tanken = Stress regulieren = Entspannung

Emotionale und körperliche Nähe durch Fachkräfte tragen dazu bei, dass das innere Nähe-Behältnis des Kindes stets gut gefüllt ist und es somit entspannt durch den Tag kommt.

Man sollte bedenken, dass der Nähebedarf der Kinder sehr individuell ist. Das eine Kind hat z.B. insgesamt viel Bedarf an körperlicher Zuwendung und muss regelmäßig viel Körpernähe „tanken“ durch Tragen, Kuscheln, Hautkontakt o.ä. Andere Kinder wiederum haben nur ein inneres schmales Reagenzglas, das sehr schnell wieder aufgefüllt werden kann, z.B. durch kurzes Drücken und ein paar schöne Worte. Sie brauchen im Kitaalltag also weniger Kontakt als andere Kinder.

Wenn kindlicher Nähebedarf verwehrt oder nicht bemerkt wird, kommt es dazu, dass Kinder nach und nach die Reserven ihres Nähehaushalts aus dem Behältnis aufbrauchen. Sie werden mit der Zeit dann immer gestresster und unglücklicher.

Kinder benötigen Fachkräfte, die ihr Nähebedürfnis feinfühlig wahrnehmen. Zeichen der Kinder dafür können vielfältig sein: sehr deutlich, unmissverständlich, zaghaft, undeutlich oder kaum wahrnehmbar.

Zeichen, die ein Nähebedürfnis zeigen

  • auf den Schoß klettern
  • Kinder sagen: „hoch“ oder „Arm“
  • strecken die Arme aus
  • weinen und lassen sich durch Sprache o.ä. nicht beruhigen
  • wirken apathisch, gehemmt
  • sind wenig fröhlich
  • Spielen nicht
  • uvm.

Bindung und Trauer

wir gehen mit den Kindern als pädagogische Fachkraft eine „bindungsähnliche Beziehung“ (Hörmann, 2013) ein. Die Fachkraft-Kind Beziehung ist von ähnlichen Merkmalen geprägt wie die Beziehung zwischen Eltern und Kind. Gleich ist, dass die Beziehung durch ein feinfühliges Verhalten der Erwachsenen aufgebaut wird und sie darüber ihre Qualität entwickelt. Auch bei der Fachkraft-Kind Beziehung entwickeln sich Bindungsqualitäten, die sicher oder unsicher sein können. 


Durch das feinfühlige Beantworten kindlicher Signale bauen wir als Fachkräfte eine bindungsähnliche Beziehung auf. Kinder zeigen auf ihre Art, wann sie emotionale oder körperliche Nähe benötigen um Stress zu regulieren und ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden.

Wenn die Signale des Kindes nach Nähe von Fachkräften immer wieder fehlinterpretiert und nicht mit Körperkontakt beantwortet werden, kann die Bindungsqualität zwischen Fachkraft und Kind unsicher sein.

Kinder brauchen also die feinfühlige und emotionale Nähe zur Fachkraft damit sie sich sicher fühlen, Vertrauen aufbauen und entspannt durch den Kitaalltag kommen.


Kinder trauern um ihre Bezugsperson

Wenn das Kind sich eine bestimmten Person in der Einrichtung als Bindungsperson ausgesucht hat, kann es vorkommen, dass es um diese trauert, wenn sie nicht da ist. Das ist ganz normal und sehr gesund. Das kann unter Umständen auch die Praktikantin sein oder eine Fachkraft, die eigentlich gar nicht als Bezugsperson vorgesehen war.

Wir Menschen weinen zum Abschied am ehesten bei Personen, die wir am meisten ins Herz geschlossen haben, die wir mögen, bei denen wir uns wohl fühlen, die uns helfen in der Not.

In den Einrichtungen suchen Kinder sich Bezugspersonen nach sehr unterschiedlichen Merkmalen aus. Häufig spielt Sympathie eine Rolle. Wichtig ist auch, wie feinfühlig die Person dem Kind Zuwendung, Wertschätzung und Verständnis entgegenbringen kann, ob sie das Kind „versteht“, seine Bedürfnisse wahrnimmt und beantwortet. Nicht zuletzt kommt es darauf an, wie die Fachkraft die Gefühle des Kindes auffangen und welchen Grad an Nähe sie zulassen kann.

In pädagogischen Einrichtungen müssen Kinder sich sehr oft von lieb gewonnenen, ihnen nahe stehenden Bezugspersonen verabschieden. An manchen Tagen warten Kinder vielleicht sogar vergeblich auf sie.

Szenarien, in denen die lieb gewonnene Bezugsperson für das Kind abwesend ist, können zum Beispiel folgende sein:

  • sie geht in die Pause
  • sie geht Vor- oder Nachbereitungen durchführen
  • sie muss in einer anderen Grupp aushelfen
  • sie ist im Urlaub
  • sie ist krank
  • sie ist selbst Auszubildende oder Paktikantin, die nur an bestimmten Tagen in der Einrichtung ist oder ihr Praktikum beendet

In solchen Situationen kann es vorkommen, dass Kinder weinen, schluchzen, verhaltener sind, nicht ins Spiel finden, traurig aussehen oder an keiner Aktivität teilnehmen wollen. Kurz gesagt, sie trauern um ihre für sie so wichtige Bezugsperson, eben wie bei den Eltern.

Diese Trauer um die Bindungsperson ist völlig in Ordnung und normal. Wir weinen auch am ehesten bei Menschen, die uns sehr nahe stehen als bei solchen, die uns nicht so wichtig sind.

Das bestätigt auch die Bindungsforschung: es hat sich gezeigt, Kinder, die sicher gebunden sind, weinen häufiger beim Weggang der Bindungsperson als unsicher gebundene Kinder.

Wenn ich als Fachkraft also in die Pause gehe und das Kind weint, ist das ein gutes Zeichen dafür, dass eine sichere Bindung zwischen mir und dem Kind besteht. Das Kind trauert um mich.

Diese Trauer ist völlig in Ordnung. Wichtig ist nur, dass das Kind eine andere ihm vertraute Person um sich hat, die sich um es kümmert, die es mit seiner Traurigkeit auffängt:

„die Christin ist jetzt in die Pause gegangen. Das macht dich ganz schön traurig stimmt’s? Das kann ich gut verstehen. Soll ich dich mal in den Arm nehmen und trösten? Schau mal, wenn der große Zeiger auf der 12 ist, dann kommt Christin wieder. Wollen wir solange ein Puzzle (oder was das Kind sonst gerne spielt) zusammen machen?“

Eine starke Beziehung bedeutet folglich also nicht, dass ich mit dem Kind zu eng bin und deshalb lieber weniger Nähe mit dem Kind aufbauen sollte. Der geringere Kontakt könnte zwar dazu führen, dass das Kind weniger traurig ist, gleichzeitig würde dem Kind eine verlässliche, Sicherheit bietende Bezugsperson fehlen. Man könnte die Trauer des Kindes also durch weniger Nähe vermeiden, allerdings hätte es folglich vermutlich keine tiefe, stabile, verlässliche, Trost spendende, regulierende Beziehung, die es so dringend braucht, um sich sicher in der Einrichtung bewegen zu können und entspannt durch den Kitaalltag zu kommen.

Falsch verstandene professionelle Distanz kann für’s Kind schädlich sein

Die professionelle Distanz gibt es in der Bedürfnisorientierten Kinderbetreuung nicht. In der Bedürfnisorientierten Kinderbetreuung treten Menschen unterschiedlichen Alters in Beziehung. Alle Beziehungspartner teilen (auf ihre Art) ihre Grenze mit und gehen achtsam mit der Grenze des jeweils anderen um. 

Ein Kind, das die Nähe der Erzieherin nicht mag, zeigt dies durch individuelle Signale, die die Fachkraft bemerkt, spiegelt und darauf adäquat reagiert.

Das Kind windet sich bspw. aus der Umarmung der Fachkraft.

Andersherum teilt die Fachkraft ebenso authentisch und klar ihre eigene Grenze mit.

die Fachkraft möchte bspw. vom Kind nicht auf den Po gehauen werden und sagt dem Kind deutlich mit einer Ich-Botschaft, dass sie das nicht will: „Ich will nicht, dass du mir auf den Popo haust“

Auch die Eltern des Kindes sind Teil des Beziehungsdreiecks. Sie haben ebenso ein Recht darauf, ihre Grenze zu kommunizieren und darin ernst genommen zu werden. Wenn sie es zum Beispiel nicht wollen, dass ihr Kind die Fachkraft küsst, sollte diese Grenze ebenso respektiert und eine gemeinsame Lösung gefunden werden.

Die Grenzen eines jeden Menschen verlaufen sehr unterschiedlich. Je nachdem welche Erfahrungen jemand mit Nähe-Situationen gemacht hat, reagiert er sensibel oder weniger sensibel auf Handlungen anderer Menschen, die mit Nähe zu tun haben. Aus diesem Grund ist eine pauschale Aussage darüber, an welcher Stelle die professionelle Distanz gewahrt werden muss und wo nicht, sehr schwer.

Reflexion: jede Fachkraft sollte für sich selbst reflektieren,

  • wann reagiere ich wie sensibel auf die Nähebedürfnisse der Kinder?
  • Wo verlaufen meine eigenen körperlichen Grenzen? Was will ich körperlich zulassen und was nicht? und warum?
  • Welche eigenen körperlichen Grenzen sind berechtigt oder an welcher Stelle könnte ich die Kinder mit meiner eigenen Körpersensibilität in ihrem Wohlbefinden und ihrer Entwicklung beeinträchtigen?


Falsch verstandene professionelle Distanz kann für ein Kind (insbesondere in der Krippe) durchaus negative Konsequenzen haben. 

Zum Beispiel wenn ein einjähriges Kind weint, auf den Arm und kuscheln möchte, die pädagogische Fachkraft unbewusst jedoch die Angst hat, das Kind zu verwöhnen oder sogar sexuell übergriffig zu sein. Sie möchte die pädagogische Distanz wahren.

In dem Fall bliebe das Kind mit seinem Kummer jedoch alleine und sein innerer Stress könnte nicht abgebaut werden. Wenn eine solche Situation häufiger auftritt und sich keine andere Fachkraft dem Kind annimmt, kann das zu chronischem Stress beim Kind führen. Jörg Maywald würde in seinem Buch „Gewalt durch pädagogische Fachkräfte verhindern“ dieses Verhalten sogar als gewaltvoll einstufen – als unterlassene Hilfeleistung.

Zu viel Nähe gibt es nicht – 3 Ausnahmen!

Neben der Aussage: „zu viel Nähe gibt es nicht“ bestehen jedoch drei wichtige Ausnahmen:

1. Ausnahme: das Kind will die Nähe nicht

Körperliche Nähe ist dann nicht in Ordnung, wenn das Kind zeigt, dass es sie nicht haben will. Durch verschiedenste Signale macht das Kind auf seine Grenze aufmerksam: durch Mimik, Gestik, mit Worten, die deutlich oder auch sehr „leise“ sein können. Es ist dann die Aufgabe der Fachkräfte diese Zeichen wahrzunehmen.

Fachkräfte, die sich z.B. ihr eigenes Nähebedürfnis durch die Kinder befriedigen, handeln tatsächlich nicht ausreichend professionell. In den folgenden zwei Beispielen wird deutlich, dass die Fachkraft die Abwehrzeichen des Kindes nicht wahrnimmt und ihr Bedürfnis nach Nähe über das des Kindes stellt.

Beispiel 1: ein Kind weint. Die Fachkraft zieht das Kind ohne es vorher anzukündigen oder zu „besprechen“ auf ihren Schoß und knuddelt es. Sie drückt es an ihre Brust. Das Kind kann sich kaum wehren. Nur durch die Mimik wird deutlich, dass es diese Art des Tröstens nicht mag.

Beispiel 2: der Mann einer Fachkraft ist verstorben. Sie befindet sich in der Trauerphase und hat Anzeichen einer Depression. Sie bemerkt die Anzeichen jedoch nicht und geht weiter in der Kita arbeiten. Unbewusst verarbeitet sie ihre Trauer, indem sie einem Mädchen lange und hingebungsvoll die Zöpfe flechtet. Sie übersieht dabei die Zeichen des Kindes, die zeigen, „ich will das nicht“.

Die Fachkraft reguliert in beiden Beispielen mit ihrem Verhalten ihre eigene innere Unruhe, die mit dem Gefühl Trauer in Verbindung steht. Im übertragenen Sinne tröstet sie mit diesem Handeln eher sich als das Kind.

Die verstrickte emotionale Situation der Fachkraft verhindern, dass diese die Zeichen des Kindes wahrnimmt, Zeichen, die zeigen, meine Grenze ist überschritten. In diesem Fall ist der Körperkontakt also eine Grenzüberschreitung und die professionelle Distanz wird hier tatsächlich nicht gewahrt. 

2. Ausnahme: die Fachkraft will die Nähe nicht

in der Bedürfnisorientierten Kinderbetreuung stehen die Personen im Mittelpunkt, die miteinander in Beziehung treten. Das heißt, die Fachkraft trifft mit ihren Bedürfnissen, Gefühlen und Grenzen auf die Bedürfnisse, Gefühle und Grenzen des Kindes. Wenn das Kind sehr viel Nähe benötigt und dies durch verschiedene Anzeichen zeigt, gilt es abzuwägen, ob für mich als Fachkraft damit eine eigene körperliche Grenze überschritten ist.

Zum Beispiel:

  • das Kind will seine Hand in den Ausschnitt schieben
  • das Kind will die Brust anfassen
  • das Kind will mir einen Kuss geben
  • das Kind will mit mir aufs Klo kommen

Wenn das Kind eine dieser körperlich nahen Verhaltensweisen zeigt, gilt es sehr sensibel abzuwägen:

  1. welches Bedürfnis hat das Kind? Was steckt dahinter? Welches Gefühl steckt dahinter?
  2. Was möchte das Kind mir mit dem Verhalten sagen?
  3. Will ich das? Ich spüre in mich hinein und fühle, ob eine eigene Grenze erreicht ist.

Wenn meine körperliche Grenze vom Kind eindeutig überschritten wurde, ist es folglich meine Verantwortung als Fachkraft dem Kind (egal welchen Alters) diese Grenze offen, klar und freundlich zu kommunizieren und zu begründen.

„Lisa ich will nicht, dass du mich küsst. Das ist mir unangenehm“

Gleichzeitig gilt es immer abzuwägen wie schwer das Bedürfnis des Kindes nach körperlicher Nähe wiegt? Ist es unbedingt notwendig, dem Bedürfnis des Kindes nachzukommen? Stelle ich das Bedürfnis des Kindes vielleicht sogar über mein eigenes Bedürfnis nach Abgrenzung weil ich weiß, dass es die einzige Strategie des Kindes ist, sich effektiv zu beruhigen? Oder gibt es einen anderen Weg das Kind in seiner Regulation zu unterstützen und ich kann meine körperliche Grenze wahren

Nach Benennen der eigenen Grenze sollte das Kind in seinen darauf folgenden Gefühlen begleitet werden. Lese dazu auch gerne meinen Artikel zum Umgang mit Wut

Zum Beispiel kann das Kind wie folgt in seinen Gefühlen begleitet werden, wenn ich als Fachkraft meine Grenze deutlich gemacht habe:

„Du ärgerst dich ganz doll weil du so gerne mit mir kuscheln möchtest. Gleichzeitig mag ich nicht so gerne, wenn du deine Hand in meinen Ausschnitt steckst. Schau mal, vielleicht können wir einfach so miteinander kuscheln und ich streichele dir die Hand. Oder was hast du für eine Idee?“

3. Ausnahme: Die Eltern wollen die Nähe nicht

Bei sehr intimen Bedürfnissen des Kindes nach Körperkontakt (wie oben beschrieben) ist es unbedingt notwendig dieses Bedürfnis des Kindes mit den Eltern zu besprechen und zu fragen:

  1. Darf ich so nah an euer Kind ran?
  2. Wenn nein. Was ist eure Angst dahinter?
  3. Gibt es alternative Beruhigungsmöglichkeiten?
  4. Wie kann ich als Fachkraft mit dem Nähe-Bedürfnis des Kindes eurer Meinung nach umgehen?

Die Einbeziehung der Eltern in solche intimen Fragen schafft Nähe und Vertrauen.

Letztlich ist es egal ob zuhause oder in der Einrichtung, Kinder brauchen Menschen, die ihre Signale wahrnehmen und ihnen ihre Bedürfnisse erfüllen. Wenn das Bedürfnis der Kinder Nähe und Zuneigung ist, sollten wir ihnen dieses Bedürfnis erfüllen. Dann ist es egal ob wir die Eltern sind oder Fachkräfte in den Einrichtungen.

Hörmann, K. (2013): https://www.kita-fachtexte.de/de/fachtexte-finden/die-entwicklung-der-fachkraft-kind-beziehung (Letzter Zugriff am 22.02.2020)

Maywald, J. (2019): Gewalt durch pädagogische Fachkräfte verhindern: Herder Verlag. (Amazon)

Onlinequelle: https://www.brain-effect.com/magazin/oxytocin-wirkung


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