16 – Gewalt durch pädagogische Fachkräfte verhindern Teil 2 – (M)ein Dilemma zwischen Hinsehen und Wegsehen

Der Kita Podcast
avatar
Lea Wedewardt

In dieser Podcastfolge spreche ich über meine Gefühle und meinen eigenen inneren Konflikt. Ihr erfahrt wie es mir selbst geht, wenn ich gewaltvolles Handeln von Fachkräften beobachte und miterlebe – diesmal handelt es sich also um ein Stück Seelenleben von mir, meinem Dilemma zwischen Hinsehen und Wegsehen.

Den passenden Blogartikel findest du hier .

Dir hat die Podcastfolge gefallen und du möchtest mir deine Wertschätzung ausdrücken? So würde ich mich über eine Spende freuen. Ich erstelle die Podcastfolgen ehrenamtlich und bin dankbar für deine Unterstützung.

Gewalt durch pädagogische Fachkräfte – (m)ein Dilemma zwischen Hinsehen und Wegsehen

Ich sitze gerade in einer Kita, begleite eine Erzieherfachschülerin in ihrem Praxisabschnitt. Ich war bis eben mit meiner Aufmerksamkeit ganz bei ihr.

Doch dann höre ich plötzlich wie es im Nachbarraum laut wird. Ich bekomme mit, wie dreijährige Kinder angeschrien werden. Ich höre wie die Erzieherin lautstark brüllt: 

„du bist ja immer noch nicht angezogen!” “Geh da sofort von der Tür weg“ “alle anderen Kinder sind bereits angezogen und du stehst hier immernoch rum” “Das kann ja wohl nicht wahr sein” “so wird das mit der Schule aber nie was“ 

Ich zucke zusammen. Das Blut gefeiert in meinen Adern. Mein Denken verschwindet, ich erstarre innerlich.

Mir geht es sehr schlecht. Ich fühle mich klein und ohnmächtig. 

Was soll ich tun?! 

Eins ist klar, das Kind braucht Hilfe!!!!

Ich grübele, wie muss es wohl dem Kind gehen, das so beschimpft und runtergemacht wird? Wenn ich schon so erschrecke, wie hilflos, schuldig und klein muss sich das Kind erst fühlen?

Schrecklich. Ich bin empört. Mein Puls steigt.

Das Kind ist so sehr abhängig von dieser Erzieherin.

Ich selbst habe jeder Zeit die Chance zu gehen, mich zu empören und die Einrichtung zu verlassen. Und das würde ich tun, wenn ich so angeschrien werde. Ich bin der Erzieherin nicht ausgeliefert, ich kann mich schützen. Ich gehe raus und fahre nachhause.

Aber das Kind kann sich nicht schützen, es kann sich nicht wehren. Wenn es sich empört, gerät die Erzieherin vermutlich erst richtig in Rage und sein Schmerz wird vermutlich noch verstärkt. Aus Angst lässt das Kind es lieber sein.

Es kennt die Situation womöglich gar nicht anders, hat diesen Umgangston vielleicht sogar bereits als normal verinnerlicht.

ETWAS BEGINNT IN MIR ZU BRODELN. Ganz leise, tief in meinem Bauch. Keiner bekommt es mit.

ICH WILL SOFORT aufstehen, zu der Erzieherin hingehen und sie schütteln, ich würde sie am liebsten an den Schultern fassen, ihr in die Augen blicken und sagen: “Sie tun dem Kind weh” “Sie üben Gewalt aus!” Sie sorgen dafür, dass das Kind seine Selbstachtung, seinen Selbstwert, sein Selbstbewusstsein, das Vertrauen zu sich und in seine Umwelt verliert!”

ICH WÜRDE AM LIEBSTEN sofort zur Leitung laufen und wutentbrannt erzählen, welch unsagbare Dinge in ihrer Einrichtung passieren. 

ICH WÜRDE AM LIEBSTEN zu meiner Fachschülerin gehen und sagen: “so bitte niemals handeln! Auf diese Art fügst du den Kindern enormes Leid zu”

ICH WILL SOFORT zu meiner Fachschule rasen und ihr befehlen, diese Einrichtung als Kooperationseinrichtung zu kündigen

ICH WILL SOFORT, das Kind in meine Arme schließen und es trösten. Ich würde ihm gerne sagen: “du trägst keine Verantwortung, du hast keine Schuld, du bist richtig wie du bist, du darfst weinen wenn du möchtest. Deine Erzieherin wollte dir eigentlich sagen, dass sie gerne mit euch raus gehen will und ihr euch dafür anziehen sollt. Sie ist ungeduldig weil sie so gerne raus möchte und es kaum abwarten kann. Sie konnte es dir gerade nur nicht anders sagen” 

ICH WÜRDE am liebsten sofort rausrennen und in die Luft schreien: “bitte liebe Eltern, schickt eure Kinder nicht in diese Einrichtung, zu dieser Erzieherin. Sie tut euren Kindern nicht gut!”

Nun sitze ich da. Das alles passiert in meinem Kopf, in meinem Herz.

Und jetzt?

Eigentlich sollte ich genau das alles, was ich fühle, was mein Bauch mir sagt, tun, sonst ändert sich nichts!!!

Doch irgendwas in mir lässt mich am Stuhl festfrieren, schubst mein Gesicht zurück zur Auszubildenden, lenkt meinen Blick auf das vor mir liegende Formular. Irgendetwas in mir lässt mich meinen Stift wieder in die Hand nehmen und fortfahren.

Alles geht so schnell, schwupps sind die Kinder draußen im Garten, die schreckliche Erzieherin irgendwo im Nirgendwo.

Alles beim Alten, wie immer, zurück zum Alltag, beobachten, schreiben, rückmelden.

War irgendetwas? VERDRÄNGT.

“es kann nicht sein, was nicht sein darf” (Anke E. Ballmann)

Ich verlasse das Gebäude, fahre nachhause. 

SCHULD steigt in mir auf. 

Es kann doch nicht sein, dass ich solche schrecklichen Dinge sehe und das beinahe wöchentlich und ich dabei nichts unternehme, „schimpfe ich innerlich mit mir“. Ich bin doch genau diejenige, die etwas ändern kann. Ich bin tagtäglich in Krippen, Kitas und Horten. Ich habe die Verantwortung. Ich sehe die Gewalt. Ich habe es in der Hand!!! 

Diese Schuldgefühle zermürben mich. Aber was soll ich tun?

Und vor allem: was hält mich davon ab etwas zu tun?

ANGST. ANGST. ANGST. ANGST. ANGST. ANGST. ANGST. ANGST. ANGST. ANGST.

Ich habe ANGST davor, andere vor den Kopf zu stoßen

Ich habe ANGST davor, andere anzukreiden

Ich habe ANGST davor, andere zu kränken

Ich habe ANGST davor, dass andere mich beschimpfen

Ich habe ANGST davor, dass andere meine Kompetenz anzweifeln

Ich habe ANGST davor, alleine da zu stehen

Ich habe ANGST davor, enttäuscht zu werden und dass trotz meiner Mühe alles beim Alten bleibt 

Ich habe ANGST davor, dass ich in meinem Selbstwert angegriffen werde

Ich habe ANGST davor, wieder in diese Einrichtung gehen zu müssen und von allen böse Blicke zu bekommen

Ich habe ANGST davor, dass ich nicht ernst genommen werden und ich den Fehler letztlich bei mir suche: “ich bin einfach zu sensibel”

Ich habe ANGST davor, verhört zu werden

Ich habe ANGST davor, mich der Erzieherin oder gar mehreren Erzieherinnen stellen zu müssen

Ich habe vor den Konsequenzen ANGST, die mich davon abhalten, zu sagen: „das ist Gewalt und darf nicht sein!“

Ich habe ANGST vor dem was kommt.

All das kann ich doch ganz einfach vermeiden, indem ich nichts sage. Das ist in jedem Fall der einfachere und bequemere Weg. Ich gehe wieder meiner Wege, komme in eine Einrichtung und gehe wieder. Schau mir das Handeln der Fachkräfte an und gehe wieder, stumpfe mit der Zeit ab, ertrage es schon irgendwie.

Dann ändert sich nur nichts!

Und die SCHULDGEFÜHLE bleiben

Ich habe nicht verändert, was verändert werden muss!

Also lasst uns alle MUTIG sein und hinschauen, verändern was nicht sein darf. Gemeinsam können wir verändern, was bisher als „normal“ galt und doch so mies ist.


Dir hat der Artikel gefallen und du möchtest mir deine Wertschätzung ausdrücken? So würde ich mich über eine Spende freuen. Ich schreibe alle Artikel ehrenamtlich und bin dankbar für deine Unterstützung.