Kinder missachten Regeln nicht aus Böswilligkeit

Kinder brechen Regeln, halten sich nicht an Vereinbarungen und hören nicht zu. Wenn wir sie darum bitten, die Regeln einzuhalten, grinsen sie nur frech und ignorieren uns. Das stimmt.

Und es könnte einen selbst zur WEISSGLUT bringen. 
“Was fällt dem Kind ein? Wie ignorant, provokant, frech und aufmüpfig. Wo soll das nur hinführen?!” “dann halte ich mich eben auch nicht mehr an seine Regeln” schwirrt es mir bockig im Kopf herum.

Ich bin verärgert, zornig, empört, 
“DAS KANN JA WOHL NICHT WAHR SEIN!”
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STOPP!!!, innehalten.
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Einmal tief durchatmen…

Sie tun es NICHT mit ABSICHT, nicht, um uns zu ärgern, nicht um uns zu provozieren!

In dem Moment ging es nicht anders, der IMPULS war STÄRKER als der Kontrollmechanismus, das steuernde Gefühl drängender als die stoppende Beherrschung. Lucas Empörung darüber, dass Isabell seinen Turm umgestoßen hat war präsenter als die rationale Überlegung sich an die vereinbarte Regel zu halten.

Die Regel “wir hauen und treten nicht” fällt Isabell erst viel später wieder ein als ihr Ärger verflogen ist.

Regeln sind dazu da, eine friedvolle Gemeinschaft einzuüben. Und die Betonung liegt auf ÜBEN! Und beim Üben passieren uns immer und immer wieder FEHLER. Das liegt in der Natur der Sache. Wir können ein Verhalten nicht sofort kontrollieren; das ist so beim Fahrradfahren Üben, beim Schreiben Üben, beim Üben des friedlichen Miteinanders und beim Üben der Impulskontrolle.

Sich an Regeln halten ist also ÜBUNGSSACHE!!!

Und zum Üben gehört es dazu, FEHLER zu MACHEN und machen zu dürfen, sonst könnte man ja schon, was man übt und würde das Üben überflüssig machen.

Wenn Kinder also Regeln missachten, dann weil sie die Regel schlicht nicht einhalten konnten.

Vergessen wir nicht, JEDER MENSCH TUT in jedem Moment DAS BESTE, WAS ER KANN. Das sagte Carl Rogers, das sagte Marshall Rosenberg und wie sie alle heißen. Und wenn ein Kind es in dem Moment nicht schafft, sich an die vereinbarte Regeln (z.B. nicht zu hauen) zu halten, dann nur weil es etwas gibt, das es davon abhält.

GRÜNDE dafür gibt es viele und sie variieren von Kind zu Kind und von Situation zu Situation: weil das Kind gekränkt ist, weil es ein unerfülltes Bedürfnis gibt, weil es eine innere Unruhe gibt, weil es überfordert ist, weil es sich nicht verstanden fühlt, weil es so sehr mit sich und seiner Emotion beschäftigt ist, dass die Regel in den Hintergrund rückt – einfach abgekappt ist.

Wenn ein Kind sich nicht an die Regel hält, sollte es also NICHT BESTRAFT werden. Das hilft nicht, es schadet.

Vielmehr sollten wir ihm VERSTÄNDNIS und Wohlwollen entgegenbringen und sagen:
“du weißt, wir haben diese Regel. Ich weiß, dass du weißt, dass es diese Regel gibt. Und wir beide wissen, jetzt gerade war es für dich nicht möglich, dich an die Regel zu halten. Das ist in Ordnung. Fehler passieren, wir üben alle zusammen, uns an die Vereinbarung zu halten. Wir unterstützen uns dabei, du hilfst mir und ich helfe dir, in Ordnung?”

Denn WAS SOLL DAS KIND DENN LERNEN?

Wollen wir, dass es aus der Situation mitnimmt: “ich muss mich an die Regeln halten koste es was es wolle” “”bloß keine Fehler machen” “ich bin schuld, dass ich mich nicht an die Regel halten konnte” “ich bin falsch”, “wenn ich nicht das tue, was von mir verlangt wird, kann es schmerzhaft für mich werden”????

Oder ist es uns lieber, wenn die Kinder für sich mitnehmen: “eine Regel soll eine Unterstützung sein”, “sie hilft uns allen” “ich bin ok auch wenn ich es mal nicht schaffe mich an eine Regel zu halten”, “ich trage keine Schuld”, “ich bekomme Unterstützung, wenn mir etwas noch nicht gelingt”, “wir sind alle Lernende”, “ich bin fähig etwas zu lernen”, “Fehler machen ist ok”??!!

Wir können also BERUHIGT sein. Wenn Kinder sich nicht an vereinbarte Regeln halten, dann nur weil es gerade nicht ging. Wir dürfen entspannt sein und sagen: “na gut, diesmal hat es nicht geklappt, wir üben weiter”. Genauso wie beim Fahrrad fahren.

Es ist NICHT unsere SCHULD, dass das Kind noch nicht Fahrrad fahren kann. Genauso wenig ist es unsere Schuld, wenn das Kind es noch nicht schafft, sich an unsere gemeinsamen Regeln zu halten. Aber wir können üben!

Und seien wir mal ehrlich, schaffen wir es immer uns an die vereinbarten Regeln zu halten?! Sind wir also fehlerfreundlich mit uns und fehlerfreundlich mit den Kindern.

Alles Liebe,
eure Lea


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09 – Bedürfniswahrnehmung vor Bedürfniserfüllung

Der Kita Podcast
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Lea Wedewardt

Im Kindergartenalltag sind wir darauf gepolt, den Kindern alle Bedürfnisse prompt zu erfüllen. Wir meinen, die Erfüllung aller Bedürfnisse der Kinder sei der Kern unserer pädagogischen Arbeit. Das stimmt auch in weiten Teilen. Allerdings viel wichtiger als ein bestimmtes Bedürfnis sofort zu erfüllen, ist es das Bedürfnis des Kindes wahrzunehmen und zu verbalisieren. Das Kind in seinem Bedürfnis wahrzunehmen steht oft noch vor der Erfüllung selbst. Oft braucht es dann gar nicht mehr. Es reicht aus das Bedürfnis zu spiegeln (zu benennen).

Den Artikel zum Podcast könnt ihr hier nachlesen: https://www.beduerfnisorientierte-kinderbetreuung.de/das-kind-in-seinem-beduerfnis-wahrzunehmen-ist-oft-noch-wichtiger-als-die-erfuellung-selbst

Oder schaut gerne in unserer Facebook Gruppe: „Bedürfnisorientierte Kinderbetreuung“ vorbei.

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Das Kind in seinem Bedürfnis wahrzunehmen ist oft noch wichtiger als die Erfüllung selbst

Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken, Schlafen und Bindung erlauben häufig keinen Aufschub und brauchen eine sofortige Erfüllung. Je nach Alter und Temperament, schaffen Kinder es weniger oder mehr diese Grundbedürfnisse aufzuschieben. Ein sechs monatiges Kind braucht z.B. bei Hunger unmittelbar etwas zu essen, ein fünfjähriges Kind schafft es unter Umständen noch einen Moment zu warten.

Wir Menschen haben noch viele weitere Bedürfnisse, die zu unserem Seelenheil, unserer inneren Zufriedenheit und unserem Glück beisteuern. Eine Auflistung dieser Bedürfnisse sind hier zu finden: https://www.beduerfnisorientierte-kinderbetreuung.de/die-beduerfnisse-des-menschen-eine-uebersicht

Sehr oft ist es so, dass Kinder gar nicht danach streben, sich ein offensichtliches Bedürfnis direkt zu erfüllen. Viel entscheidender ist, dass ihr Bedürfnis wahrgenommen wird. Das zeigt sich auch in folgenden zwei Situationen in einer Kindertagesstätte:

Beispiel Pia und Beispiel Jan

Beispiel 1 (Pia):

Pia sitzt im hinteren Eck des Gartens einer Kindertagesstätte und weint. Die Fachkraft läuft hin. Von weitem zeigt sie mit ihrer Mimik, dass sie mit Pia mitfühlt. Pia erkennt am Gesichtsausdruck der Fachkraft, dass sie verstehen kann, wie sie sich fühlt. Das beruhigt sie bereits ein wenig.

Die Erzieherin vermutet, Pia wird traurig oder verärgert sein oder vielleicht hat sie sich verletzt?!

Die Fachkraft kommt bei Pia an und tröstet sie. “Soll ich dich mal in den Arm nehmen?”. “JA!”. Sie tröstet Pia und hält sie im Arm bis sie sich ein wenig beruhigt. 

Erzieherin: “Was war denn passiert?” “Hast du dich verletzt?” 

Pia: “JA”

Erzieherin: “Wurdest du gehauen?”

Pia: “Nein geschubst. Die Anne hat mich geschubst”

Erzieherin: “Och man. Und jetzt bist du wütend auf sie?”

Pia: “JA!”

Pia hört schlagartig auf zu weinen, spannt auf dem Schoß der Fachkraft ihren Körper an und bekommt einen wütenden Gesichtsausdruck.

Erzieherin: “ich verstehe. Du bist ziemlich sauer auf Anne weil sie dich umgeschubst hat?”

Pia: “JA!”

Erzieherin: “willst du ihr sagen, dass du dich darüber ärgerst, dass sie dich umgeschubst hat?” Und wollen wir sie mal fragen, warum sie das gemacht hat?”

Pia: Nein schon gut. 

Pia springt vom Schoß auf und geht zurück zu ihrer Freundin, um mit ihr fröhlich weiterzuspielen.

Beispiel 2 (Jan):

Jan wird sehr aufbrausend als Lina ihm das Spielpferd aus der Hand reißt, mit dem er gerade gespielt hatte. Er beginnt zu schimpfen und zu meckern und ist kurz davor, Lina vor Wut zu hauen. 

Erzieherin: “Stopp Jan!”. 

Sie geht zu ihm hin, geht in die Hocke auf Augenhöhe, wendet sich ihm freundlich zu und sieht ihn mitfühlend an. Ihre Mimik lässt erkennen, dass sie ihm wohlgesonnen ist und Verständnis für ihn hat.

Erzieherin:du bist ziemlich verärgert weil Mara dir das Pferd aus der Hand genommen hat oder?” 

Jan: “JA!”

Erzieherin: “Du hast gerade etwas so Wichtiges mit dem Pferd gespielt stimmt’s?”

Jan: “JA!”

Erzieherin: “Ich habe das gesehen, du wolltest mit dem Pferd Bauernhof spielen, richtig?

Jan: “JA und jetzt geht das nicht mehr. Ich brauche das Pferd für meinen Pflug”

Erzieherin: “das ist echt ärgerlich”. “Soll ich dich mal in den Arm nehmen und trösten?” oder “wollen wir die Lina fragen, ob sie dir das Pferd zurück gibt?”

Jan: “Nein. Ist nicht so schlimm. Ich nehmen einfach die Kuh”

In beiden beschriebenen Szenen kommt es den Kinder weniger darauf an, sofort eine Lösung zu finden, Vergeltung zu üben oder einen Ausgleich zu schaffen. 

Es gibt noch viele weitere Situationen, die dieses Phänomen beschreiben könnten:

Robert will ein bestimmtes Spielzeug haben

Philipp will dass seine Mama kommt

Frieda will nicht mit raus in den Garten

Lutz mag das Essen nicht

 

Das Bedürfnis hinter dem Bedürfnis

Viel eher brauchen sie Einfühlung und Verständnis. Sie benötigen Jemanden, der sich in sie einfühlt, der einen Versuch unternimmt, ihre Lage zu verstehen und ihnen Trost spendet. Es reicht ihnen sichtlich aus, dass sie in ihrem Bedürfnis wahrgenommen werden. Sie benötigen dabei keine direkte Lösung, keinen Richter, keinen Ritter, keine unmittelbare Aktion, die daraus folgt. Sie benötigen nicht die Erfüllung des im Vordergrund stehenden Bedürfnisses z.B. das Pferd wieder zu bekommen oder Anne wegen des Schubsens zur Rede zu stellen.

Indem wir in den tröstenden Situationen unsere Verbundenheit  und unser Mitgefühl ausdrücken, erfüllen wir bereits ein fundamentales menschliches Bedürfnis, nämlich das Bedürfnis nach Empathie. 

  • Wir wünschen uns, dass jemand mit unserem Gefühl mitschwingt
  • Wir wünschen uns, dass uns jemand zuhört
  • Wir wünschen uns, dass wir verstanden werden
  • Wir wünschen uns, dass wir gesehen werden.
  • Wir wünschen uns, in unsere Situation akzeptiert zu werden
  • Wir wünschen uns Verbundenheit

So auch Pia und Jan.

Hinter einem zunächst vermuteten, offensichtlichen Bedürfnis z.B. nach Gerechtigkeit oder einer konkreten Konfliktlösung, liegt also häufig ein viel tiefer liegendes, emotionales Bedürfnis: das Bedürfnis nach Wertschätzung, Empathie und Gesehen werden. Durch die Wahrnehmung und Spiegelung des vermuteten Bedürfnisses werden also im Hintergrund andere, weniger offensichtliche, viel wichtigere Bedürfnisse des Kindes gestillt, nämlich nach Verbindung und Anerkennung.

Das heißt auch das Verbalisieren eines offensichtlichen Bedürfnisses, erfüllt dem Kind unter Umständen ein anderes viel tiefer liegendes Bedürfnis.


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Gibt es ein zu viel an Nähe im pädagogischen Kontext?

Dieser Beitrag kann auch als Podcastfolge angehört werden

Es hält sich in der pädagogischen Praxis zum Teil immer noch hartnäckig der Glaube, dass zu viel körperliche und emotionale Nähe den Kindern schaden könnte. Die Angst ist groß, dass Kinder bei zu enger Bindung zu den Fachkräften viel weinen, sich nicht lösen und nicht selbständig werden könnten. Pädagogische Fachkräfte sollten die professionelle Distanz wahren, um ein Kind nicht zu sehr an sich zu binden. Zu viel emotionales “Gedusel” sei wenig professionell und würde das Kind in seiner Entwicklung hemmen, so immer wieder die Meinung.

Aber gibt es wirklich zu viel Nähe? Eine zu enge Bindung zwischen Fachkraft und Kind?

Im familiären Kontext hat es sich mittlerweile rumgesprochen, dass Kinder nur schwer verwöhnt werden können, dass sie von körperlicher und emotionaler Nähe profitieren, eine innere Stärke aufbauen, dass sie gesünder und stressresistenter sind als Kinder, die in emotional kühler Atmosphäre groß werden.

Pädagogische Fachkräfte sind verunsichert

Pädagogische Fachkräfte sind allerdings immer wieder verunsichert: wie viel Nähe darf ich zulassen? Wie viel Nähe ist in Ordnung, um immer noch professionell zu handeln, um die professionelle Distanz zu wahren? Schließlich bin ich nicht die Mutter oder der Vater. Ich arbeite doch nur ergänzend zur Familie und möchte den Eltern keine Konkurrenz machen. Auch werde ich sonst von meinen Kolleginnen komisch angeschaut.

“meine Kollegen sagen dann zu mir, ich wäre zu eng mit den Kindern weil sie weinen wenn ich in die Pause gehe”

Gibt es ein zu viel an körperlicher Nähe im beruflichen Kontext?”

“man muss doch die professionelle Distanz wahren. Aber wenn die Kinder immer wieder von mir auf den Arm genommen werden wollen?! Was soll ich dann tun?”

Nähe ist für die pädagogische Arbeit wichtig

Ich kann alle Zweifelden beruhigen, auch im pädagogischen Kontext gibt es kein zu viel an körperlicher und emotionaler Nähe. Ich spreche nicht von übergriffiger, sexualisierter Nähe, sondern einer Bedürfnis gerechten Nähe, die auf die Signale der Kinder angepasst ist – eine Nähe, die von Kuscheln, auf den Arm nehmen, gut zureden, zugewandt sein geprägt ist. Eine Nähe, bei der die Grenzen aller Beteiligten gewahrt werden (siehe dazu unten den Abschnitt : „zu viel Nähe gibt es nicht – drei Ausnahmen“)

Insbesondere im Krippenbereich sind kleine Kinder sogar auf die emotionale Zuwendung von Erwachsenen angewiesen. Sie bauen eine Bindung auf, die davon geprägt ist, dass die Bindungsperson ihre Signale versteht und ihnen diese Signale mit einer passenden Handlung beantwortet. Dabei zeigen Kleinkinder für gewöhnlich sehr häufig Zeichen, die darauf schließen lassen, dass sie körperliche Nähe benötigen. Es ist ihr Grundbedürfnis durch emotionale und körperliche Nähe zum Erwachsenen Sicherheit und Regulation zu erfahren. Auch durch pädagogische Fachkräfte.

Der Stress-Regulations-Behälter – je voller desto entspannter

Durch emotionale Regulation und Körperkontakt wird das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet. Dieses Hormon wiederum sorgt dafür, dass Stress, also Cortisol im Blut, abgebaut wird (Onlinequelle)

Stellen wir uns vor, ein Kind hätte ein inneres Behältnis, das je nach Menge der Nähe und Zuwendung stark oder weniger stark gefüllt ist. Bekommt ein Kind viel Körperkontakt, ist das Behältnis gut gefüllt. Dieses gefüllte Behältnis ist gleichzusetzen mit innerer Entspannung und Ausgeglichenheit. Je voller das Glas also an Zuwendung ist, umso entspannter ist das Kind. Im Umkehrschluss bedeutet das, wenn ein Kind lange Zeit keine Co-Regulation z.B. durch Körperkontakt erfahren hat, bleibt sein Stress-Regulations-Becher leer und das Kind ist stark gestresst.

Nähe tanken = Stress regulieren = Entspannung

Emotionale und körperliche Nähe durch Fachkräfte tragen dazu bei, dass das innere Nähe-Behältnis des Kindes stets gut gefüllt ist und es somit entspannt durch den Tag kommt.

Man sollte bedenken, dass der Nähebedarf der Kinder sehr individuell ist. Das eine Kind hat z.B. insgesamt viel Bedarf an körperlicher Zuwendung und muss regelmäßig viel Körpernähe „tanken“ durch Tragen, Kuscheln, Hautkontakt o.ä. Andere Kinder wiederum haben nur ein inneres schmales Reagenzglas, das sehr schnell wieder aufgefüllt werden kann, z.B. durch kurzes Drücken und ein paar schöne Worte. Sie brauchen im Kitaalltag also weniger Kontakt als andere Kinder.

Wenn kindlicher Nähebedarf verwehrt oder nicht bemerkt wird, kommt es dazu, dass Kinder nach und nach die Reserven ihres Nähehaushalts aus dem Behältnis aufbrauchen. Sie werden mit der Zeit dann immer gestresster und unglücklicher.

Kinder benötigen Fachkräfte, die ihr Nähebedürfnis feinfühlig wahrnehmen. Zeichen der Kinder dafür können vielfältig sein: sehr deutlich, unmissverständlich, zaghaft, undeutlich oder kaum wahrnehmbar.

Zeichen, die ein Nähebedürfnis zeigen

  • auf den Schoß klettern
  • Kinder sagen: „hoch“ oder „Arm“
  • strecken die Arme aus
  • weinen und lassen sich durch Sprache o.ä. nicht beruhigen
  • wirken apathisch, gehemmt
  • sind wenig fröhlich
  • Spielen nicht
  • uvm.

Bindung und Trauer

wir gehen mit den Kindern als pädagogische Fachkraft eine „bindungsähnliche Beziehung“ (Hörmann, 2013) ein. Die Fachkraft-Kind Beziehung ist von ähnlichen Merkmalen geprägt wie die Beziehung zwischen Eltern und Kind. Gleich ist, dass die Beziehung durch ein feinfühliges Verhalten der Erwachsenen aufgebaut wird und sie darüber ihre Qualität entwickelt. Auch bei der Fachkraft-Kind Beziehung entwickeln sich Bindungsqualitäten, die sicher oder unsicher sein können. 


Durch das feinfühlige Beantworten kindlicher Signale bauen wir als Fachkräfte eine bindungsähnliche Beziehung auf. Kinder zeigen auf ihre Art, wann sie emotionale oder körperliche Nähe benötigen um Stress zu regulieren und ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden.

Wenn die Signale des Kindes nach Nähe von Fachkräften immer wieder fehlinterpretiert und nicht mit Körperkontakt beantwortet werden, kann die Bindungsqualität zwischen Fachkraft und Kind unsicher sein.

Kinder brauchen also die feinfühlige und emotionale Nähe zur Fachkraft damit sie sich sicher fühlen, Vertrauen aufbauen und entspannt durch den Kitaalltag kommen.


Kinder trauern um ihre Bezugsperson

Wenn das Kind sich eine bestimmten Person in der Einrichtung als Bindungsperson ausgesucht hat, kann es vorkommen, dass es um diese trauert, wenn sie nicht da ist. Das ist ganz normal und sehr gesund. Das kann unter Umständen auch die Praktikantin sein oder eine Fachkraft, die eigentlich gar nicht als Bezugsperson vorgesehen war.

Wir Menschen weinen zum Abschied am ehesten bei Personen, die wir am meisten ins Herz geschlossen haben, die wir mögen, bei denen wir uns wohl fühlen, die uns helfen in der Not.

In den Einrichtungen suchen Kinder sich Bezugspersonen nach sehr unterschiedlichen Merkmalen aus. Häufig spielt Sympathie eine Rolle. Wichtig ist auch, wie feinfühlig die Person dem Kind Zuwendung, Wertschätzung und Verständnis entgegenbringen kann, ob sie das Kind „versteht“, seine Bedürfnisse wahrnimmt und beantwortet. Nicht zuletzt kommt es darauf an, wie die Fachkraft die Gefühle des Kindes auffangen und welchen Grad an Nähe sie zulassen kann.

In pädagogischen Einrichtungen müssen Kinder sich sehr oft von lieb gewonnenen, ihnen nahe stehenden Bezugspersonen verabschieden. An manchen Tagen warten Kinder vielleicht sogar vergeblich auf sie.

Szenarien, in denen die lieb gewonnene Bezugsperson für das Kind abwesend ist, können zum Beispiel folgende sein:

  • sie geht in die Pause
  • sie geht Vor- oder Nachbereitungen durchführen
  • sie muss in einer anderen Grupp aushelfen
  • sie ist im Urlaub
  • sie ist krank
  • sie ist selbst Auszubildende oder Paktikantin, die nur an bestimmten Tagen in der Einrichtung ist oder ihr Praktikum beendet

In solchen Situationen kann es vorkommen, dass Kinder weinen, schluchzen, verhaltener sind, nicht ins Spiel finden, traurig aussehen oder an keiner Aktivität teilnehmen wollen. Kurz gesagt, sie trauern um ihre für sie so wichtige Bezugsperson, eben wie bei den Eltern.

Diese Trauer um die Bindungsperson ist völlig in Ordnung und normal. Wir weinen auch am ehesten bei Menschen, die uns sehr nahe stehen als bei solchen, die uns nicht so wichtig sind.

Das bestätigt auch die Bindungsforschung: es hat sich gezeigt, Kinder, die sicher gebunden sind, weinen häufiger beim Weggang der Bindungsperson als unsicher gebundene Kinder.

Wenn ich als Fachkraft also in die Pause gehe und das Kind weint, ist das ein gutes Zeichen dafür, dass eine sichere Bindung zwischen mir und dem Kind besteht. Das Kind trauert um mich.

Diese Trauer ist völlig in Ordnung. Wichtig ist nur, dass das Kind eine andere ihm vertraute Person um sich hat, die sich um es kümmert, die es mit seiner Traurigkeit auffängt:

„die Christin ist jetzt in die Pause gegangen. Das macht dich ganz schön traurig stimmt’s? Das kann ich gut verstehen. Soll ich dich mal in den Arm nehmen und trösten? Schau mal, wenn der große Zeiger auf der 12 ist, dann kommt Christin wieder. Wollen wir solange ein Puzzle (oder was das Kind sonst gerne spielt) zusammen machen?“

Eine starke Beziehung bedeutet folglich also nicht, dass ich mit dem Kind zu eng bin und deshalb lieber weniger Nähe mit dem Kind aufbauen sollte. Der geringere Kontakt könnte zwar dazu führen, dass das Kind weniger traurig ist, gleichzeitig würde dem Kind eine verlässliche, Sicherheit bietende Bezugsperson fehlen. Man könnte die Trauer des Kindes also durch weniger Nähe vermeiden, allerdings hätte es folglich vermutlich keine tiefe, stabile, verlässliche, Trost spendende, regulierende Beziehung, die es so dringend braucht, um sich sicher in der Einrichtung bewegen zu können und entspannt durch den Kitaalltag zu kommen.

Falsch verstandene professionelle Distanz kann für’s Kind schädlich sein

Die professionelle Distanz gibt es in der Bedürfnisorientierten Kinderbetreuung nicht. In der Bedürfnisorientierten Kinderbetreuung treten Menschen unterschiedlichen Alters in Beziehung. Alle Beziehungspartner teilen (auf ihre Art) ihre Grenze mit und gehen achtsam mit der Grenze des jeweils anderen um. 

Ein Kind, das die Nähe der Erzieherin nicht mag, zeigt dies durch individuelle Signale, die die Fachkraft bemerkt, spiegelt und darauf adäquat reagiert.

Das Kind windet sich bspw. aus der Umarmung der Fachkraft.

Andersherum teilt die Fachkraft ebenso authentisch und klar ihre eigene Grenze mit.

die Fachkraft möchte bspw. vom Kind nicht auf den Po gehauen werden und sagt dem Kind deutlich mit einer Ich-Botschaft, dass sie das nicht will: „Ich will nicht, dass du mir auf den Popo haust“

Auch die Eltern des Kindes sind Teil des Beziehungsdreiecks. Sie haben ebenso ein Recht darauf, ihre Grenze zu kommunizieren und darin ernst genommen zu werden. Wenn sie es zum Beispiel nicht wollen, dass ihr Kind die Fachkraft küsst, sollte diese Grenze ebenso respektiert und eine gemeinsame Lösung gefunden werden.

Die Grenzen eines jeden Menschen verlaufen sehr unterschiedlich. Je nachdem welche Erfahrungen jemand mit Nähe-Situationen gemacht hat, reagiert er sensibel oder weniger sensibel auf Handlungen anderer Menschen, die mit Nähe zu tun haben. Aus diesem Grund ist eine pauschale Aussage darüber, an welcher Stelle die professionelle Distanz gewahrt werden muss und wo nicht, sehr schwer.

Reflexion: jede Fachkraft sollte für sich selbst reflektieren,

  • wann reagiere ich wie sensibel auf die Nähebedürfnisse der Kinder?
  • Wo verlaufen meine eigenen körperlichen Grenzen? Was will ich körperlich zulassen und was nicht? und warum?
  • Welche eigenen körperlichen Grenzen sind berechtigt oder an welcher Stelle könnte ich die Kinder mit meiner eigenen Körpersensibilität in ihrem Wohlbefinden und ihrer Entwicklung beeinträchtigen?


Falsch verstandene professionelle Distanz kann für ein Kind (insbesondere in der Krippe) durchaus negative Konsequenzen haben. 

Zum Beispiel wenn ein einjähriges Kind weint, auf den Arm und kuscheln möchte, die pädagogische Fachkraft unbewusst jedoch die Angst hat, das Kind zu verwöhnen oder sogar sexuell übergriffig zu sein. Sie möchte die pädagogische Distanz wahren.

In dem Fall bliebe das Kind mit seinem Kummer jedoch alleine und sein innerer Stress könnte nicht abgebaut werden. Wenn eine solche Situation häufiger auftritt und sich keine andere Fachkraft dem Kind annimmt, kann das zu chronischem Stress beim Kind führen. Jörg Maywald würde in seinem Buch „Gewalt durch pädagogische Fachkräfte verhindern“ dieses Verhalten sogar als gewaltvoll einstufen – als unterlassene Hilfeleistung.

Zu viel Nähe gibt es nicht – 3 Ausnahmen!

Neben der Aussage: „zu viel Nähe gibt es nicht“ bestehen jedoch drei wichtige Ausnahmen:

1. Ausnahme: das Kind will die Nähe nicht

Körperliche Nähe ist dann nicht in Ordnung, wenn das Kind zeigt, dass es sie nicht haben will. Durch verschiedenste Signale macht das Kind auf seine Grenze aufmerksam: durch Mimik, Gestik, mit Worten, die deutlich oder auch sehr „leise“ sein können. Es ist dann die Aufgabe der Fachkräfte diese Zeichen wahrzunehmen.

Fachkräfte, die sich z.B. ihr eigenes Nähebedürfnis durch die Kinder befriedigen, handeln tatsächlich nicht ausreichend professionell. In den folgenden zwei Beispielen wird deutlich, dass die Fachkraft die Abwehrzeichen des Kindes nicht wahrnimmt und ihr Bedürfnis nach Nähe über das des Kindes stellt.

Beispiel 1: ein Kind weint. Die Fachkraft zieht das Kind ohne es vorher anzukündigen oder zu „besprechen“ auf ihren Schoß und knuddelt es. Sie drückt es an ihre Brust. Das Kind kann sich kaum wehren. Nur durch die Mimik wird deutlich, dass es diese Art des Tröstens nicht mag.

Beispiel 2: der Mann einer Fachkraft ist verstorben. Sie befindet sich in der Trauerphase und hat Anzeichen einer Depression. Sie bemerkt die Anzeichen jedoch nicht und geht weiter in der Kita arbeiten. Unbewusst verarbeitet sie ihre Trauer, indem sie einem Mädchen lange und hingebungsvoll die Zöpfe flechtet. Sie übersieht dabei die Zeichen des Kindes, die zeigen, „ich will das nicht“.

Die Fachkraft reguliert in beiden Beispielen mit ihrem Verhalten ihre eigene innere Unruhe, die mit dem Gefühl Trauer in Verbindung steht. Im übertragenen Sinne tröstet sie mit diesem Handeln eher sich als das Kind.

Die verstrickte emotionale Situation der Fachkraft verhindern, dass diese die Zeichen des Kindes wahrnimmt, Zeichen, die zeigen, meine Grenze ist überschritten. In diesem Fall ist der Körperkontakt also eine Grenzüberschreitung und die professionelle Distanz wird hier tatsächlich nicht gewahrt. 

2. Ausnahme: die Fachkraft will die Nähe nicht

in der Bedürfnisorientierten Kinderbetreuung stehen die Personen im Mittelpunkt, die miteinander in Beziehung treten. Das heißt, die Fachkraft trifft mit ihren Bedürfnissen, Gefühlen und Grenzen auf die Bedürfnisse, Gefühle und Grenzen des Kindes. Wenn das Kind sehr viel Nähe benötigt und dies durch verschiedene Anzeichen zeigt, gilt es abzuwägen, ob für mich als Fachkraft damit eine eigene körperliche Grenze überschritten ist.

Zum Beispiel:

  • das Kind will seine Hand in den Ausschnitt schieben
  • das Kind will die Brust anfassen
  • das Kind will mir einen Kuss geben
  • das Kind will mit mir aufs Klo kommen

Wenn das Kind eine dieser körperlich nahen Verhaltensweisen zeigt, gilt es sehr sensibel abzuwägen:

  1. welches Bedürfnis hat das Kind? Was steckt dahinter? Welches Gefühl steckt dahinter?
  2. Was möchte das Kind mir mit dem Verhalten sagen?
  3. Will ich das? Ich spüre in mich hinein und fühle, ob eine eigene Grenze erreicht ist.

Wenn meine körperliche Grenze vom Kind eindeutig überschritten wurde, ist es folglich meine Verantwortung als Fachkraft dem Kind (egal welchen Alters) diese Grenze offen, klar und freundlich zu kommunizieren und zu begründen.

„Lisa ich will nicht, dass du mich küsst. Das ist mir unangenehm“

Gleichzeitig gilt es immer abzuwägen wie schwer das Bedürfnis des Kindes nach körperlicher Nähe wiegt? Ist es unbedingt notwendig, dem Bedürfnis des Kindes nachzukommen? Stelle ich das Bedürfnis des Kindes vielleicht sogar über mein eigenes Bedürfnis nach Abgrenzung weil ich weiß, dass es die einzige Strategie des Kindes ist, sich effektiv zu beruhigen? Oder gibt es einen anderen Weg das Kind in seiner Regulation zu unterstützen und ich kann meine körperliche Grenze wahren

Nach Benennen der eigenen Grenze sollte das Kind in seinen darauf folgenden Gefühlen begleitet werden. Lese dazu auch gerne meinen Artikel zum Umgang mit Wut

Zum Beispiel kann das Kind wie folgt in seinen Gefühlen begleitet werden, wenn ich als Fachkraft meine Grenze deutlich gemacht habe:

„Du ärgerst dich ganz doll weil du so gerne mit mir kuscheln möchtest. Gleichzeitig mag ich nicht so gerne, wenn du deine Hand in meinen Ausschnitt steckst. Schau mal, vielleicht können wir einfach so miteinander kuscheln und ich streichele dir die Hand. Oder was hast du für eine Idee?“

3. Ausnahme: Die Eltern wollen die Nähe nicht

Bei sehr intimen Bedürfnissen des Kindes nach Körperkontakt (wie oben beschrieben) ist es unbedingt notwendig dieses Bedürfnis des Kindes mit den Eltern zu besprechen und zu fragen:

  1. Darf ich so nah an euer Kind ran?
  2. Wenn nein. Was ist eure Angst dahinter?
  3. Gibt es alternative Beruhigungsmöglichkeiten?
  4. Wie kann ich als Fachkraft mit dem Nähe-Bedürfnis des Kindes eurer Meinung nach umgehen?

Die Einbeziehung der Eltern in solche intimen Fragen schafft Nähe und Vertrauen.

Letztlich ist es egal ob zuhause oder in der Einrichtung, Kinder brauchen Menschen, die ihre Signale wahrnehmen und ihnen ihre Bedürfnisse erfüllen. Wenn das Bedürfnis der Kinder Nähe und Zuneigung ist, sollten wir ihnen dieses Bedürfnis erfüllen. Dann ist es egal ob wir die Eltern sind oder Fachkräfte in den Einrichtungen.

Hörmann, K. (2013): https://www.kita-fachtexte.de/de/fachtexte-finden/die-entwicklung-der-fachkraft-kind-beziehung (Letzter Zugriff am 22.02.2020)

Maywald, J. (2019): Gewalt durch pädagogische Fachkräfte verhindern: Herder Verlag. (Amazon)

Onlinequelle: https://www.brain-effect.com/magazin/oxytocin-wirkung


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Umgang mit der Wut der Kinder in der bedürfnisorientierten Kinderbetreuung

Wütend ist jeder Mensch das ein oder andere Mal. Die Wut gehört als Gefühl genauso zu uns wie die Trauer, die Freude und die Angst. Die Frage ist nur, ob wir eine Wahrnehmung für diese Wut haben, merken, wann sie in uns aufsteigt und ob wir wissen, was sie uns sagen will.

Zuerst beginnt das Herz zu klopfen, der Magen verkrümmt sich und das Gefühl steigt erst langsam, dann immer schneller in uns auf. 

Wenn wir diese Zeichen nicht spüren, platzt die Wut zu einem späteren Zeitpunkt geballt aus uns heraus und wir wissen nicht mehr, wo kam die Wut denn genau her? Es ist schwer herauszufiltern, was genau die Auslöser waren.

Wut rechtzeitig wahrnehmen

Wenn wir es schaffen rechtzeitig zu merken, dass wir wütend werden, kann das oft verpönte Gefühl der Wut unter Umständen sehr nützlich sein.

Es zeigt, mir geht es nicht gut, irgendwas stimmt hier nicht, ich gehe über meine Grenze, jemand anders geht über meine Grenze, ein Bedürfnis ist nicht ausreichend erfüllt.

Auf dieser Basis habe ich dann die Möglichkeit, für mich eine persönliche Lösung zu finden, die dazu beiträgt, dass ich mein inneres Gleichgewicht wiederfinden kann. 

Ich gehe folglich verantwortlich mit meinem Gefühl um, bin nicht von Schuldgefühlen geplagt, muss nicht in den Kampf, die Aggression oder die Resignation gehen. 

Umgang mit der Wut der Kinder in der bedürfnisorientierten Kinderbetreuung

Dieser Umgang mit Wut ist ein wichtiger Baustein der Bedürfnisorientierten Kinderbetreuung. Wir Fachkräfte können die Kinder darin unterstützen, ihre Wut wahrzunehmen, die Ursachen für sie herauszufinden und gemeinsam mit ihnen Lösungsstrategien zu entwickeln. 

1) Wahrnehmung der Wut

Wir Fachkräfte begleiten die Kinder in der Wahrnehmung ihrer Wut, machen sie darauf aufmerksam: 

“schau mal, du bist gerade wütend”, 

“merkst du, wie sich das anfühlt?” 

“ein Groll steigt langsam in deinem Bauch empor oder wie fühlt sich das genau bei dir an?” 

2) Ursachen für die Wut ergründen

Wir können den Kindern helfen, die Ursache für ihre Wut und das Bedürfnis dahinter herauszufinden und zu verstehen. Sie schulen dadurch ihre Wahrnehmung für die Entstehung ihrer Wut.

“achso, du wolltest auch die Schaufel haben, verstehe”

“der Benni hat dir das Laufrad weggenommen, das macht dich so wütend”

“verstehe, du hast eine tolle Sandburg gebaut und die ist jetzt kaputt?”

 

3) Lösungsstrategien mit dem Kind entwickeln

Im dritten Schritt kann man gemeinsam mit dem Kind eine Strategie erarbeiten, wie es sich sein unbefriedigtes Bedürfnis erfüllen kann. 

“hast du eine Idee, wie du auch so eine Schaufel bekommen kannst?

“magst du Lara mal fragen ob du die Schaufel auch mal haben kannst?”

“du würdest dem Jan gerne sagen, dass du wütend bist weil er deine Sandburg kaputt gemacht hat?” “Magst du zu ihm hingehen?” Soll ich mitkommen?”

Umgang mit Wut als wichtige Sozialkompetenz

Durch diese drei Schritte lernt ein Kind, dass Wut gut ist und nichts bedrohliches. Es lernt, dass es seine Wut nicht wegschieben oder unterdrücken muss. Es lernt, dass es einen Weg gibt, das Gefühl konstruktiv zu nutzen. Es lernt, seine Wut rechtzeitig wahrzunehmen, ihren Ursprung zu verstehen und eine Lösung für seine Bedürfnisse, die hinter der Wut stehen, zu finden. 

Der Umgang mit Wut ist eine äußerst wichtige Sozialkompetenz, die Kinder bereits im Kindergartenalter lernen können. Denn Wut hilft uns für unsere eigenen Bedürfnisse einzustehen. Wir können ihre Energie nutzen um „Ja“ zu sagen, „Nein“ zu sagen, „bleibe“ zu sagen oder „geh weg“ zu sagen. Wir können die Wut als Motor unserer inneren Bedürfnisse verstehen und nutzen. Unausgelebte Wut führt hingegen dazu, dass wir traurig werden oder sogar depressiv (Deutschlandfunk Kultur).

Manche Kinder sind scheinbar nicht wütend

Manche Kinder zeigen keine Wut, so scheint es häufig. Das liegt allerdings nicht daran, dass sie nicht wütend sind, sondern dass sie keine Platftorm erhalten, auf der diesem negativen Gefühl Raum gegeben wird. Kinder merken schnell, bei wem Wut erwünscht ist und bei wem nicht. Sie passen sich an, schlucken ihre Wut runter, entfernen sich von sich selbst.

Zu oft erlebe ich es noch in Einrichtungen, dass die Wut der Kinder runtergespielt, nicht ernst genommen wird, nicht genutzt, überspielt oder unterdrückt wird. Ich höre noch viel zu oft die Sätze:

“jetzt beruhig dich mal”

“der bockt schon wieder”

“unser Wutzwerg mal wieder”

“komm wir schicken den Ziegenbock raus”

“und da fliegt die Wut aus dem Fenster”

Damit wird die Wut der Kinder nicht ernst genommen. Diese Sätze haben immer die gleiche Botschaft:

„wir wollen die Wut hier nicht haben“ „tue etwas, damit du nicht mehr wütend bist“.

Verfolgen wir jedoch unbewusst oder bewusst als einziges Ziel, irgendwie die Wut der Kinder wegzuschieben, weg zu bekommen, hat das Kind wenig Möglichkeit sie zu spüren und für sich etwas über sich zu lernen. Denn wie soll ein Kind, das seine Wut nicht zeigen durfte, lernen, wie es mit ihr umgeht? Kinder unterdrücken folglich ihre Wut und entwickeln womöglich bei aufkommender Wut unbewusst Schuldgefühle.

Kinder mit ihrer Wut alleine lassen

In der Wut der Kinder haben wir oft das Bedürfnis zu flüchten. In uns steigt der Fluchtreflex aus dem Stammhirn empor und wir schaffen es nicht körperlich präsent und emotional in Verbindung mit dem Kind zu bleiben.

Kinder mit ihrer Wut alleine zu lassen, empfinden diese wie eine Bestrafung (s. Quelle)

Wenn sie wütend werden brauchen sie unsere Präsenz, das Gefühl, wir lassen sie nicht im Stich. Auch wenn sie wütend werden sind wir für sie da. Sie brauchen das Gefühl ich werde auch wahrgenommen, angenommen, respektiert und toleriert, wenn die Wut in mir aufsteigt. Es ist jemand da, der mich tröstet und bei mir ist. Das spendet Trost und verringert die Angst vor der nächsten Wut.

Passive Aggressivität im Erwachsenenalter

Wenn Kinder lernen, dass ihre Wut nicht willkommen ist, zeigen sie diese später im Erwachsenenalter häufig in passiv aggressiver Form. Sie haben verinnerlicht,

“offen sollte ich meine Wut lieber nicht zeigen. Das hat negative Konsequenzen für mich”.

Ihre passive Aggressivität zeigt sich beispielsweise im chronischen zu spät kommen, Augen rollen, körperlich wegdrehen, Herabwürdigung des anderen,  Ausweichen von Konfliktgesprächen, Intrigen spinnen, Ärgern, sich selbst schlecht reden uvm. Sie wissen einfach nicht, wann wurde ich warum wütend und wie kann ich meine Wut in ein konstruktives Handeln umwandeln.

Die Wut ist bei uns Menschen also da. Die Frage ist nur, wie gehen wir mit ihr um? Was lernen wir aus ihr? Erlauben wir ihr zum Ausdruck zu kommen und sie als Zeichen für uns selbst wahrzunehmen.

Heißen wir sie in den Betreuungseinrichtungen also jeder Zeit willkommen. Lernen wir gemeinsam mit den Kindern, wie wir sie feiern und für uns nutzen können.

„Juhuuu, wir sind wütend!“ „Wut ist etwas tolles!“

Begleiten wir die Kinder in der Kinderbetreuung darin bedürfnisorientiert ihre Wut zu verstehen. Das ist die beste Vorbereitung auf ein glückliches, verantwortungsbewusstes Leben.

Deutschlandfunk Kultur: https://www.deutschlandfunkkultur.de/emotionsforschung-wer-wut-unterdrueckt-kann-depressiv-werden.976.de.html?dram:article_id=466223 (Letzter Zugriff: 19.01.2020)


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Die Morgenkreis-Falle – für manche Kinder sind Morgenkreise eine Qual!

der Morgenkreis ist doch das A und O einer Kita! In jeder Kita werden Morgenkreise durchgeführt. Hat man das nicht schon immer so gemacht?! Kinder brauchen Rituale, Struktur sonst können sie sich nicht orientieren, fühlen sich nicht sicher. Ist das wirklich so?

Nein. All das sind Glaubenssätze, die ich schon oft zum Thema Morgenkreis gehört habe.


Ein Morgenkreis kann wirklich etwas Schönes sein … FÜR MANCHE KINDER

Ein Morgenkreis kann wirklich den Tag strukturieren
… FÜR MANCHE KINDER

Ein Morgenkreis kann wirklich etwas beinhalten, bei dem man etwas lernen kann
… FÜR MANCHE KINDERER

Ein Morgenkreis kann wirklich etwas interessantes sein
… FÜR MANCHE KINDERER

Ein Morgenkreis kann wirklich Spaß machen … FÜR MANCHE KINDER

…ABER lange nicht für ALLE KINDER!
Für manche Kinder ist der Morgenkreis eine QUAL. Sie müssen still sitzen obwohl sie längst ihre Idee von heute Morgen umsetzen wollen. Sie müssen still sitzen obwohl sie den inneren Drang haben das Spiel von gestern mit ihrem Freund weiterzuspielen. Sie sollen bei etwas zuhören, was sie überhaupt nicht interessiert. Sie sollen etwas lernen, das sie gerade nicht lernen wollen. Sie können nicht ruhig sitzen, sie können nicht zuhören, sie wollen nicht zuhören, sie denken schon die ganze Zeit an ihre Ritterburg im anderen Raum, an ihr Feenschloß im Garten oder ihren aufwendigen Papierdrachen im Atelier.


Sie werden folglich mehrfach ermahnt, werden umgesetzt, werden aus dem Zimmer geworfen. Und jetzt? Na das ist ja ein toller Morgen, schon jetzt eine miese Stimmung. Und das Kind bleibt zurück mit viel ÄRGER, FRUST und WUT. Am Ende sind alle entnervt, die Fachkräfte, das betroffene Kind und die anderen Kinder. Na ob das wirklich noch ein schöner Tag wird? Und das, obwohl der Morgenkreis doch eigentlich dazu da sein soll, den Tag schön zu beginnen oder?


Gibt es vielleicht auch eine andere Möglichkeit den Tag schön zu beginnen?Wie gestaltet ihr den Morgenkreis bedürfnisorientiert? Wie gestaltet ihr den Morgenkreis individuell?


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Probier- oder Kostehappen- NEIN danke!

Wer kennt ihn nicht den allbekannten Koste-, Probierlöffel oder Probierhappen. Viele Fachkräfte wollen, dass Kinder “zumindest mal probieren” auch wenn das Kind NEIN sagt und keinen Spinat, keinen Salat, kein Fleisch o.ä. essen möchten.

Viele Fachkräfte erhoffen sich davon, dass das Kind gesünder isst oder auch durch das Probieren Gefallen an diesem Essen findet. Das Gegenteil ist der Fall!

Stellt euch mal vor, ihr hättet euer allerliebstes Mittagessen vor euch stehen – ihr habt so richtig Lust darauf. Jetzt kommt Jemand und schöpft euch (evtl. sogar ohne euch zu fragen) einen Klecks von dem ungeliebten Essen mit auf den gleichen Teller. Würde euch da nicht auch die Lust auf das Lieblingsessen vergehen? Würde nicht sogar ein Ekel aufkommen, der euch das ganze Essen vermiest?!Für die Zukunft würde das für mich vielleicht sogar bedeuten, ich mag das ungeliebte Essen noch weniger. Es könnte sogar sein, dass für mich die Essenssituation im Kindergarten auf Dauer einen negativen Beigeschmack hat – mir die Essenslust vergangen ist.

Sollte es nicht das ZIEL im Kindergarten sein, die Freude und Lust am Essen bei den Kindern zu erhalten? Sollte es nicht das Ziel sein, ein gesundes Verhältnis zum Essen zu bewahren? Ich halte es für sehr wichtig, den Kindern die Kompetenz zuzusprechen, für sich selbst am besten entscheiden zu können, was ihnen kulinarisch gut tut und was nicht. Es sollte ihnen selbst überlassen bleiben, wann sie etwas probieren möchten und wann nicht.

Druck von außen führt eher dazu, sich von dem ungeliebten Lebensmittel fern zu halten oder sogar sein ganzes Leben zu verabscheuen.

Meine Erzieherfachschüler antworten meistens auf diese Annahme mit: “stimmt, das was ich damals essen sollte, mag ich noch heute nicht!”

Kennt ihr das auch? Wie geht ihr in der Praxis mit dem Probieren um?


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„Wo möchte ich schlafen (ruhen)?“ Mögliche Kriterien der Kinder bei der Wahl des Schlafplatzes (Ruheplatz)

Ich möchte euch heute von einem “GOOD PRACTISE”- Fall zum Thema MITTAGSRUHE berichten. Ich habe eine Kita besucht, die es den Kindern im Alter zwischen 3 bis 7 Jahren freistellt, wo sie ihre Mittagsruhe verbringen möchten. Es handelt sich um eine relativ große Einrichtung mit über 150 Kindern. Es gibt drei Räume, die zur Mittagsruhe zur Auswahl stehen:

  1. RAUM: ist so gestaltet, dass Kinder dort “richtig” einschlafen können, also dunkel, gemütlich, Kojen, Körbe, Sterne an der Decke usw.
  2. RAUM: ist als Snoezelraum mit Dämmerlicht eingerichtet. Dort wird ein Hörbuch gehört, alle verhalten sich ruhig und kuscheln sich in Matratzen, Decken, Kissen etc.
  3. RAUM: ist ein “wach”-Raum. Dort können sich die Kinder aufhalten, welche leise etwas malen, basteln, spielen oder Bücher anschauen wollen. Dieser Raum ist also gut geeignet für Kinder, die das ruhig Liegen nicht mögen.

Was ich schön finde ist, dass die Kinder durch dieses Konzept neben der Raumwahl auch die Wahl haben, mit WELCHER BEZUGSPERSON sie zusammen sein möchten. Sie können also mindestens zwischen drei Fachkräften wählen, bei denen sie sich wohl fühlen und ihre Mittagsruhe verbringen wollen. Es gibt dabei mehrere Kriterien, die die Kinder unbewusst bei ihrer Wahl im Fokus haben könnten:

  1. entsprechend der “Artgerecht-Idee”: nur da wo ich mich sicher fühle, kann ich mich entspannen.
  2. ich gehe nur da hin, wo ich gekrault/ gestreichelt werde
  3. ich gehe da hin, wo das schönste Ruheritual durchführt wird
  4. ich gehe da hin, wo die Fachkraft ist, die am schönsten vorliest
  5. Ich gehe da hin, wo man sich am besten um mich kümmert
  6. Ich gehe dahin, wo die mir sympathischste Fachkraft ist

Das könnte natürlich auch zur Herausforderung werden weil die Kinder sich womöglich nicht entsprechend ihres Schlafbedürfnis den Raum aussuchen, sondern danach, bei welcher Fachkraft sie sein wollen. Das Bedürfnis der Nähe zur Fachkraft wäre in dem Fall größer als Ruhen/ Schlafen. Das wäre völlig in Ordnung weil das Kind das Bedürfnis für sich erfüllt, was am ehesten befriedigt werden muss um sein inneres Gleichgewicht wieder herzustellen nämlich Bindung/Beziehung zur Fachkraft anstatt Schlaf. Blöd ist es nur, wenn das Kind sehr müde ist aber sich die bevorzugte Fachkraft im Wachraum befindet. Wichtig finde ich, dass man diese Wahlkriterien der Kinder im Hinterkopf behält.
Keinesfalls sollten die Kinder für ihre WAHL vorwurfsvoll VERANTWORTLICH gemacht werden auf die Art: “warum hast du dir diesen Raum ausgesucht wenn du gar nicht schläfst?” Damit werden SCHULDGEFÜHLE hervorgerufen.
Die Kinder agieren immer im Sinne ihrer ungestillten Bedürfnisse. Es gibt dabei einen unbewussten ANTRIEB hinter der Wahl des Ruhebereichs: ich möchte…… nicht ruhig liegen,… mit meinem Freund zusammen bleiben… bei Erzieherin Susi sein… in dem Raum mit der Mondlampe liegen… ein bestimmtes Brettspiel spielen… mit dem Kuscheltier “Hans” schmusen… am Fenster liegen… mich in der Höhle zurückziehen
Es gibt sicherlich noch viele weitere Kriterien, die die Wahl des Ruhebereichs beeinflussen. Kennt ihr noch welche?


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“Das macht man doch nicht” – aggressives Spiel unter Kindern

Kennt ihr diese Situation? Ein fünfjähriger Junge rammt mit dem Laufrad ein zweijähriges Mädchen auf einem Dreirad. Das Mädchen wird bei jedem Aufprall durchgeschüttelt. Es lacht dabei immer wieder laut auf. Eine Fachkraft schimpft mit dem größeren Kind und ermahnt es damit aufzuhören “das macht man nicht Tim”. Der Junge schaut erschrocken zur Erzieherin, dreht sich nach kurzer Zeit wieder um und rammt das Kind erneut. Nun läuft die Fachkraft mit wütendem Schritt auf den Jungen zu und nimmt ihm forsch das Laufrad weg. Tim steht etwas betröppelt da. 

Was ist passiert?

Die Fachkraft empfindet das Auffahren vermutlich als für sie selbst unangenehm, ihr würde das evtl. nicht gefallen, wenn sie das Kind wäre. In ihr laufen blitzschnell innere Stimmen ab, die ihr sagen: “das macht man doch nicht”. “Rammen ist unerhört”, “aggressiv”, “wenn der Junge das noch macht wenn er größer wird, bin ich vielleicht daran Schuld weil ich ihn nicht erzogen habe”. Während dieser unbewusst sorgenvollen Vermutungen, verliert sie den Blick für die tatsächlichen Bedürfnisse der Kinder und handelt schlicht aus ihrem ersten Impuls heraus, der sich ihrer naheliegendsten Handlungsstrategien bedient. Sie greift ein, “das kann ich so nicht durchgehen lassen!”.

Man kann ihr dieses Vorgehen nicht vorwerfen, denn sie hat getan, was sie tuen konnte, sie hat ihr bestes gegeben.

Zurück bleiben zwei Kinder im luftleeren Raum

Den Kindern hingegen wurde damit Unrecht getan und zwar nicht nur Tim sondern auch dem Mädchen. Beide hatten sehr viel Freude an dem Spiel und zeigten keinerlei Anzeichen, dass ihre Grenzen überschritten wurden, ganz im Gegenteil! 

  • zurück bleibt ein Junge, der vermutlich traurig ist weil er ein lustiges Spiel nicht weiter verfolgen konnte und das obwohl Lachen das Gesündeste der Welt ist.
  • zurück bleibt ein Junge, der vermutlich verwirrt ist weil er nicht versteht, warum er mit dem Rammen aufhören sollte, obwohl das Mädchen sehr viel Spaß gezeigt hatte.
  • zurück bleibt ein Junge, der vermutlich verärgert ist weil er nun sein geliebtes Laufrad weggenommen bekommen hat. Er ist zudem verwirrt, da es doch immer wieder heißt, er selbst solle nichts wegnehmen.
  • zurück bleiben zwei Kinder, die aus einem wunderbaren Spiel gerissen wurden und sich nun im luftleeren Raum bewegen. Sie sind auf der Suche nach einem neuen für sie passenden Spiel, bei dem sie etwas lernen können. Bis dahin sind sie erstmal damit beschäftigt innerlich mit ihrem Frust, ihrer Enttäuschung und ihrer Wut umzugehen.

Ich stelle mir zu der Situation noch eine Frage: wäre die Fachkraft auch eingeschritten, wenn das kleine süße Mädchen den “Raufbold” Tim gerammt hätte? Wir folgen bei sanktionierendem Verhalten oft unseren inneren Vorurteilen. “Der Junge kann das schon ab aber das kleine süße zerbrechliche Mädchen doch nicht. Ihr muss ich helfen!”

Was hätte man tun können?

  • Die Situation aus der Ferne beobachten. Die verbalen und mimischen Ausdrücke der Kinder verraten, ob ihre Grenze noch gewahrt ist.
  • Selbsteinfühlung: wie geht es mir dabei, was empfinde ich? Übertrage ich mein ungutes Gefühl auf die Kinder? Ist nur meine Grenze überschritten oder auch die der Kinder?
  • Auch unser Bedürfnis spielt in der bedürfnisorientierten Kinderbetreuung eine wichtige Rolle. Wenn ich Angst habe, sie könnten sich verletzen oder die Spielgeräte könnten dabei kaputt gehen, darf ich einschreiten. Ich könnte dann sagen: “oh ich sehe, ihr zwei wollt gerade ineinander fahren. Wisst ihr, ich habe Sorge, dass dabei die Fahrzeuge kaputt gehen. Helft mir mal, vielleicht könnt ihr noch mit etwas anderem ineinander fahren? Oder laufen?

Wir wissen schließlich nicht, was bei dem Spiel die Lernabsicht der Kinder war! Auch ein vermeindlich “aggressives” Spiel kann durchaus lustvoll für Kinder sein. Mehr als sonst sollte dabei darauf geachtet werden, dass die Grenzen aller Beteiligten gewahrt bleiben.

„Justus, achtest du bitte immer darauf, ob Greta dieses Spiel noch gefällt“


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Eine Auszeit als Strafe ist grenzüberschreitend

Heute geht es um ein nicht sehr erfreuliches Thema, aber eins, das mir sehr am Herzen liegt. Ich habe in meinem beruflichen Alltag bereits ein paar Mal gesehen, wie Kinder als Strafe für ein unerwünschtes Verhalten alleine in der Garderobe sitzen mussten. Die anderen Kinder haben derweil weiter im Gruppenraum gespielt oder sind als Gruppe rausgegangen. Das heißt, die betroffenen Kinder waren für einen längeren Zeitraum auf sich gestellt.

Zunächst möchte ich klar feststellen, der Ausschluss aus einer sozialen Gruppe als Bestrafung ist eine klare Grenzüberschreitung und nicht erlaubt! Der Paritätische Gesamtverband hat eine Arbeitshilfe zum Kinderschutz herausgegeben, in dem erklärt wird, dass “vor die Tür stellen” eine Form der Gewalt ist – also in der Garderobe sitzen, in eine Ecke stellen, vor die Tür stellen. Diese Art der Gewalt, nämlich der soziale Ausschluss aus einer Gruppe, steht in dieser Erklärung in der Schwere gleichrangig neben dem Zwang zum Aufessen, zum Schlafen, der verbalen Erniedrigung, Beschämung und der körperlichen Gewalt.https://www.paritaet-berlin.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/2016/September/2016_09_29_kinder-und-jugendschutz-in-einrichtungen_web.pdf

WARUM ist nun der Ausschluss aus der Kindergartengruppe für ein Kind so schlimm?

Man könnte ja sagen, das Kind sitzt doch an einem sicheren Ort, hat seine Ruhe und kann für sich spielen. Aber was in dem Kind passiert, kann auf Dauer negative Auswirkungen auf die Entwicklung und das Wohlbefinden des Kindes haben.

  • Der Ausschluss aus sozialen Gruppen fügt Kindern psychischen STRESS zu. Wir Homo Sapiens sind neurowissenschaftlich gesehen darauf gepolt, immer in der Nähe der sozialen Gruppe zu bleiben. Wenn wir früher alleine in der Wildnis unterwegs gewesen wären, hätten wir vermutlich ohne unsere Gruppe nicht lange überlebt. Es kann also ein Gefühl von verlassen sein, allein gelassen sein oder sogar ein Gefühl von Todesangst einsetzen. Das bedeutet im Gehirn massiven Stress. Und eine hohe Cortisolausschüttung im Gehirn kann auf Dauer eine chronische Cortisolüberfunktion oder eine chronische Cortisolunterfunktion hervorrufen und die Entwicklung beeinträchtigen.
  • Die BEZIEHUNG zur strafenden Fachkraft wird durch den Ausschluss aus der Gruppe erschüttert. Das Kind fühlt sich in der Umgebung der Bezugsperson nicht mehr sicher: “dieser erwachsenen Person kann ich nicht vertrauen. Sie schützt mich nicht, sondern bringt mich in Gefahr”. Ein solcher verinnerlichter Glaubenssatz kann mehrere Auswirkungen haben, z.B. dass das Kind nicht mehr in den Kindergarten gehen möchte weil es sich dort nicht sicher fühlt.
  • Wie jede andere Bestrafung ist der Ausschluss aus der Gruppe hochgradig BESCHÄMEND. In diesem Fall wird die Scham allerdings noch verstärkt. Wenn ein Kind wieder zur Gruppe zurückkommen darf, sind alle Augen auf das “Übeltäter”-Kind gerichtet. Unter Umständen kann die Beschämung beim Zurückkommen noch gravierender sein als beim Verhängen der Strafe. Eine solche Art der Beschämung kann dazu führen, dass das Selbstbild des Kindes langfristig erschüttert wird und es bei wiederkehrendem Ausschluss ein negatives Selbstbild aufbaut: “ich bin böse”. Eine solche häufig auftretende Beschämung kann traumatische Auswirkungen für das Kind bedeuten (https://www.traumaheilung.de/trauma-und-scham/)
  • Einfühlungsbeispiel: wie würden wir uns fühlen, wenn wir bei unseren Verwandten zu einer Geburtstagsfeier eingeladen wären, wir schütten ausversehen ein Glas um und unsere Mutter würde uns vor die Tür setzen, uns also von der Gesellschaft ausschließen. Es würde alles in uns erschüttern: das Vertrauen in unsere Mutter, die Unsicherheit unseren Verwandten gegenüber und das Gefühl zu uns selbst. Zurückbleiben würde eine riesengroße WUT und das Bedürfnis zu FLIEHEN.
  • Fachkräfte wollen mit ihrer bestrafenden Handlung erzielen, dass ein Kind das ungewünschte Verhalten nicht mehr zeigt. Es kann auch sein, dass der gewünschte Effekt kurzzeitig eintritt. Der Ausschluss aus der Gruppe wird das Kind allerdings eher dazu veranlassen in Widerstand zu gehen und seinem ÄRGER über die Bestrafung Luft zu machen. Solche Kinder werden dann häufig als “schwierige Kinder” betrachtet. Langfristig gesehen ist der Ausschluss aus der Gruppe also für beide Seiten ineffektiv und ungesund.
  • Die Reaktion auf die Bestrafung und der entstandene Schaden ist allerdings stark vom Temperament des Kindes abhängig. Manche Kinder würden sich z.B. eher zurückziehen und autoaggressive, depressive Anzeichen zeigen.
  • Auch die Reaktion der ELTERN zuhause spielt eine entscheidende Rolle. Nehmen die Eltern ihr Kind ernst, trösten sie oder bleibt das Kind mit seinem Kummer alleine bzw. wird noch zusätzlich bestraft für sein „böses“ Benehmen.

Meine Haltung ist klar: ganz egal, was ein Kind “anstellt”, der Ausschluss aus der Kindergartengruppe darf NIE ein Mittel der Erziehung sein!

Welche alternativen Handlungsweisen Fachkräfte anstatt einer Auszeit nutzen können, erkläre ich in dem Artikel: „5 Alternativen für eine Auszeit als Strafe“


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