„du hast so schön…“ – Sensibler Umgang mit Sprache

“du hast so schön ruhig gelegen, du darfst früher aufstehen”

“du hast so schön aufgegessen, du darfst schon einen Nachtisch haben”

“du hast so schön aufgeräumt, du darfst als erster das Essen bekommen”

“du hast dich so schnell angezogen, du darfst als erster rausgehen”

All diese Sätze sind Alltag in deutschen Kindergärten. Sie haben alle dasselbe Ziel: das Kind zu einem bestimmten Handeln zu bewegen. Ich möchte, dass das Kind in der Schlafenszeit ruhig ist, schnell isst, alles aufisst, sich schnell anzieht usw. 

Ich kann gut nachvollziehen, dass es häufig eine Herausforderung ist, den Tagesplan einzuhalten. Wenn Kinder nicht mitmachen wollen und nach der eigenen Vorstellung handeln, kann der Ablauf schon mal hinken. Wahrscheinlich ist man sehr hilflos und muss sich etwas einfallen lassen, um den Ablauf reibungsloser hinzubekommen. Ich finde es allerdings wichtig sich die möglichen Folgen der oben beschriebenen Sätze klar zu machen: 

Mögliche Folgen: 

  1. das Kind verhält sich entsprechend der VORGABE der Fachkraft: schneller, ruhiger usw. 
  2. das Kind lernt, nur wenn ich das mache, was die Fachkräfte von mir wollen, BIN ICH RICHTIG. Nur wenn ich ruhig liege, mich schnell anziehe, aufessen etc. bin ich gut.
  3. Es geht nicht darum, was ich IN MIR FÜHLE, sondern darum, was das Umfeld von mir verlangt. Es ist wichtig die Vorgaben einzuhalten.
  4. Möglicherweise VERLIERT das Kind das GEFÜHL zu seinen eigenen Bedürfnissen (ruhig liegen obwohl der Körper sagt, ich bin nicht müde; mehr essen als der Bedarf, schneller essen als der Bedarf, hetzen obwohl ich Zeit brauche um mich auf die neue Situation einzustellen, innerer Stress.
  5. Dadurch dass ein Kind “BELOHNT” wird, fühlen sich die anderen Kinder automatisch herabgesetzt. “ich bin nicht so gut weil ich langsamer esse, ich habe nicht so gute Fähigkeiten weil ich mich langsamer anziehe und nicht ruhig liegen kann”. Das beeinflusst das Selbstwertgefühl des Kindes. 
  6. Dadurch können WUT/ ÄRGER auf das belohnte Kind oder auf die Fachkraft entstehen. Auch FRUST darüber, dass man noch keinen Nachtisch bekommt oder NEID weil das andere Kind bereits einen Nachtisch haben durfte können die Folge sein. Man fördert dadurch negative Gefühle und Streit.
  7. Förderung des LEISTUNGSGEDANKE und des KONKURRENZKAMPFES unter den Kindern. Sie lernen schnell, es geht darum, wer etwas am besten kann und wer nicht (Meistens sind das immer die gleichen Kinder: zB. die Ältesten gewinnen, die Jüngeren verlieren). Das schafft bereits in diesem Moment eine Chancenungleichheit. Am ehesten bestehen kann derjenige, der die Anforderungen der Fachkräfte erfüllt. Entweder du kannst dich gut anpassen oder du bist nicht so wertig wie die anderen weil du es nicht so “schön” nach den Wünschen der Pädagogen erfüllen kannst. Es gibt dadurch bereits im Kindergarten auf den ersten Blick nur schwer erkennbare Leistungs- und Persönlichkeitsbewertung.

Was soll jedoch das Ziel unseres Handelns als Fachkräfte in Krippe, Kita und Hort sein? Wollen wir angepasste Menschen hervorbringen, die ihr Leben nur danach ausrichten, was andere von ihnen verlangen, wie andere sie bewerten, ob sie etwas richtig, falsch, schnell oder langsam getan haben?! Wollen wir, dass Menschen gegeneinander arbeiten, sich gegenseitig neiden? 

Mir wäre es viel lieber, glückliche Menschen zu haben, die aufeinander acht geben, individuelle Eigenheiten und Fähigkeiten tolerieren lernen (langsames Essen, langsames Anziehen), die sich Zeit und Raum geben, die sich gegenseitig helfen, die sich ihren Bedürfnissen bewusst sind. Das macht glückliche Menschen doch aus oder?

Mir ist es wichtig die Komplexität dieser eben mal schnell daher gesagten Sätze deutlich zu machen. Liebe Grüße, Lea


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Flexibilität im Tagesablauf – Wahrnehmung kindlicher Lernsituationen

Ich möchte euch heute wieder von einer Szene aus einer Kita berichten, die mich zum Nachdenken angeregt hat: eine Kindergartengruppe geht vom Außenbereich rein, die Kinder ziehen sich aus und sollen in den Waschbereich gehen, um sich die Hände zu waschen.

Während wir im Waschraum sind und alle Kinder ihren Aufgaben nachgehen, beobachte ich ein Kind, das sehr VERTIEFT mit dem Handtuchständer spielt. Der Junge versucht konzentriert und ausdauernd das Handtuch durch ein Loch zu ziehen. Er scheint wie weggetreten, ganz versunken, mit sich eins, wie im Flow zu sein, als hätte er alles um sich herum vergessen. Während die anderen Kinder bereits alle fertig sind, spielt er noch immer am Handtuchständer.

Die Erzieherin ruft den Jungen, er solle mit in den Gruppenraum kommen, sie ERMAHNT ihn mehrere Male aber der Junge reagiert nicht. Sie kommt nach kurzer Zeit in den Raum, erst als sie ihn direkt anspricht, „erwacht“ der Junge aus seinem Spiel. Er ist ganz verwirrt weil seine Erzieherin ihn zum Waschbecken schiebt und ihm die Hände wäscht.

Mich hat die Situation traurig gemacht. Ich war so beeindruckt, wie vertieft er an dem Handtuchständer seine Fähigkeiten erprobte, sich eine Aufgabe gestellt und ohne Unterlass an der Lösung gearbeitet hat. Meine Erfahrung ist, dass in der Praxis oft für solche Situationen keine Zeit, keine Wahrnehmung oder schlicht keine Flexibilität im Tagesablauf vorhanden ist. Alles ist getaktet.

Wäre es für den Jungen nicht grandios gewesen, von der Fachkraft zu hören oder zu spüren: “oh ich sehe, du bist noch sehr beschäftigt. Lass dir Zeit, du kannst im Bad bleiben bis du fertig bist. Danach kannst du zu uns in den Gruppenraum kommen”. Mit diesen Worten würde man gleich mehrere positive Botschaften an das Kind senden:


1. ich sehe, was dir gerade wichtig ist

2. du hast ein Recht darauf deinem Lernbedürfnis zu folgen.

3. ich sehe, dass du noch Zeit brauchst

4. ich vertraue dir, dass du hier alleine bleiben kannst

5. ich vertraue dir, dass du selbständig den Weg in den Gruppenraum findest

6. du darfst selbst über dich bestimmen und selbst entscheiden, wann du kommst


Der Junge hätte zudem die Möglichkeit, selbständig zu werden, ein selbstgestelltes Problem zu lösen, Lösungsstrategien zu entwickeln, Ausdauer zu üben, Fingerfertigkeit, Konzentration, Empathie und Selbstvertrauen zu entwickeln. Sind das nicht alles Fähigkeiten, die wir unseren Kindern näher bringen wollen?!


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“Na Süße…” wenn Fachkräfte Kinder mit Worten liebkosen

“Na Süße…” so nannte ein Erzieher ein vierjähriges Mädchen. Spontan musste ich mich innerlich schütteln. Es kam ein Gefühl von EKEL in mir auf. Habe nur ich diese Abscheu gespürt oder auch das Mädchen selbst? Hätte ich mich vielleicht nicht so geekelt wenn es eine Erzieherin und kein Erzieher gewesen wäre?! Bin ich doch etwas zu sensibel? Warum reagierte ich so? Fragen, Fragen, Fragen. 

Eines beobachte ich jedenfalls immer wieder: Kinder werden in der Kindertagesbetreuung beinahe inflationär mit Kosenamen benannt:

“Püppi”, “Mäuschen”, “Schätzchen”, “Hase”, “Schnecke” usw.

Es rutscht uns plötzlich raus, die Kleinen sind ja auch zu süß, wir meinen es doch nur gut. Kennt ihr das? 

Die meisten denken sich nichts dabei, meinen es nicht böse, ist doch nur nett gemeint und schafft Nähe zum Kind. Das mögen die Kinder doch und mich mögen sie dann auch lieber. Auf diese Weise kann ich eine Beziehung aufbauen, die für die pädagogische Arbeit doch so wichtig ist. Aber ist das wirklich so? 

Kinder mögen meist keine Kosenamen

Die meisten Kinder, die ich frage, ob sie Kosenamen mögen, antworten mir mit einem klaren NEIN! Es wird dabei ihre Grenze überschritten.

Ihre Mimik, Gestik, ihr Verhalten, ein Wegdrehen, ein Gesicht verziehen, ein danach schnell Wegrennen lässt dann vermuten, dass ihnen diese Art der sprachlichen Zuwendung zu eng und grenzüberschreitend ist.

Wenn Kinder mit “Süße” oder “Püppi” angesprochen werden, hat das für mich doch ein wenig etwas von einem Kuscheltier, von etwas Kleinem, Niedlichen, einem Objekt, das liebkost wird.

Kinder wollen gleichwertig behandelt werden

Kinder wollen jedoch GLEICHWERTIG als vollwertige Persönlichkeiten gesehen werden, als Subjekte, die ihr Leben selbst gestalten können, die über sich selbst bestimmen können. Sie wollen als Karl, Louis, Mia, Fred und Emma gesehen und geschätzt werden. Sie wollen hingegen nicht als kleine süße Püppchen behandelt oder wie Objekte betätschelt werden. Sie wollen wie sie SELBST behandelt werden – mit all ihren Interessen, Fähigkeiten und Persönlichkeitseigenschaften. 

Wir können Kinder FRAGEN, ob sie die Liebkosungen mögen. Manche Kinder verlangen vielleicht sogar danach. Wenn sie ihr Einverständnis dafür geben, sind die verniedlichenden Bezeichnungen keineswegs zu kritisieren. Aber wenn Kinder sie allerdings nicht mögen, muss das respektiert werden! 

Und wenn es uns doch passiert?

Wenn uns doch eine gut gemeinte Liebkosung über die Lippen rutscht, haben wir die Möglichkeit unser BEDAUERN darüber auszudrücken.

“Oh ich weiß, eigentlich magst du so nicht genannt werden. Das kann ich gut verstehen. Ich bedauere dich “Mäuschen” genannt zu haben weil ich weiß, dass du das gar nicht magst. Ich versuche nächstes Mal darauf zu achten, denn mir ist es wichtig, dass deine Grenzen respektiert werden”

Auf dieser Grundlage können tolle Gespräche entstehen, die Kinder für ihr Leben bereichern. Ich kann mit dem Kind über seine eigenen GRENZEN und über das Wahrnehmen eigener Grenzen sprechen. Anhand dieses Alltagsbeispiels haben wir die Möglichkeit, Kinder darin zu bestärken, ihre eigenen Grenzen zu wahren und NEIN zu sagen.

Mehr zum Thema Grenzen und Wahrnehmung von kindlichen Grenzen findest du hier: https://www.beduerfnisorientierte-kinderbetreuung.de/nein-sagen-duerfen


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Meine Motivation – die Praxis der Kinderbetreuung verändern

ich freue mich sehr, dass du den Weg zu meinem Blog „Bedürfnisorientierte Kinderbetreuung“ gefunden hast. Ich freue mich, dass du gemeinsam mit mir neue Ideen entwickeln möchtest, wie man die Betreuung in Krippe, Kita, Hort und in der Kindertagesbetreuung zugunsten des Kindeswohls verbessern kann.

Ich bin Kindheitspädagogin (M.A.) und habe in meiner Arbeit im Qualitätsmanagement in Kitas und als Dozentin in der ErzieherInnenausbildung viele Krippen, Kitas und Horte sehen dürfen. Ich bin nach wie vor erschrocken, wie Kinder in manchen Einrichtungen betreut werden. Es werden Gefühle bagatellisiert, individuelle Entwicklungsbedarfe der Kinder ausgeblendet, Kinder beschämt, bestraft und ihre Bedürfnisse werden übergangen. Meine Einschätzung wird jüngst durch das Buch „Seelenprügel“ von A. E. Ballmann und das Buch „Gewalt durch pädagogische Fachkräfte verhindern“ von Jörg Maywald bestätigt. Auch das Niedersächsische Institut für frühkindliche Bildung veröffentlichte kürzlich einen Artikel zu Übergriffen im Kita-Alltag.

Selbstverständlich gibt es auch hervorragende Einrichtungen und ErzieherInnen, die täglich ihr bestes geben. Ich ziehe meinen Hut vor engagierten PädagogInnen, die eine wirklich wichtige Arbeit leisten innerhalb schlechter Rahmenbedingungen und mangelnder Anerkennung. Das möchte ich in meinem Blog auch keines Wegs in Zweifel ziehen!

Dennoch bin ich der Meinung, dass es an vielen Stellen in der Kindertagesbetreuung ein Umdenken braucht! Es ist mir ein inneres Anliegen, die Grenzüberschreitungen in der Kindertagesbetreuung zu verringern und die Qualität der Kindertagesbetreuung maßgeblich zu verbessern. Dafür ist eine Bindungs- und bedürfnisorientierte Pädagogik die Grundlage und ein absolutes Muss!

Die Bindungs- und Bedürfnisorientierte Erziehung in der Familie erhält dank vieler mir hoch geschätzter KollegInnen (Geborgen Wachsen, das gewünschteste Wunschkind, Dr. Herbert Renz Polster, Nora Immlau, die Artgerecht-Bücher von Nicola Schmidt uvm.) immer mehr Aufmerksamkeit und immer mehr Anhänger. Neben der Bedürfnisorientierten Erziehung in der Familie, vergrößert sich die Bewegung zum achtsamen Leben und auch die Glücksforschung gerät immer mehr in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Was mir bei der Beobachtung von Bewegungen, Blogs und Communities allerdings noch auffällt ist, dass es sehr viel Kritik und Unzufriedenheit dieser Anhänger hinsichtlich der öffentlichen Kinderbetreuung gibt. „jetzt habe ich mein Kind mehrere Jahre bedürfnisorientiert begleitet und nun kommt es in einen Kindergarten, der nicht nach den Maximen einer Bindungs- und Bedürfnisorientierten Erziehung arbeitet“. Die Community der „Kindergartenfrei“ Bewegung nimmt deshalb meiner Einschätzung nach rasant zu und die Kritik an der öffentlichen Kinderbetreuung wird lauter. Eltern sehen ihre Kinder in den Einrichtungen nicht mehr gut betreut. Sie nehmen eine Haltung der Fachkräfte wahr, die nicht den Bedürfnissen der Kinder entspricht, nehmen wenig feinfühliges und zum Teil auch kindeswohlgefährdendes Verhalten der Fachkräfte wahr. Das deckt sich auch mit meinen Erafahrungen in meiner Arbeit.

Eine Bindungs- und Bedürfnisorientierte Kindertagesbetreuung ist bisher eine Ausnahme. Vereinzelte Einrichtungen beginnen nun ihre Konzepte danach auszurichten. Vereinzelte Eltern wollen bedürfnisorientierte Einrichtungen.

Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, die Bindungs- und Bedürfnisorientierte Begleitung von Kindern auf die Kindertagesbetreuung zu übertragen. Ich habe das Ziel, Fachkräfte für die Bedürfnisse der Kinder zu sensibilisieren, Eltern darin zu bestärken, bestimmte Verhaltensweisen von Fachkräften nicht hinnehmen zu müssen und Auszubildenden als Start in ihren Beruf eine Haltung mitzugeben, die die Kompetenz der Kinder und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt. Ich möchte Einrichtungen darin unterstützen, bedürfnisorientierte (BO) Pädagogik zum Hauptfokus ihres Konzeptes zu machen. Ich möchte mit Fachkräften in den Dialog gehen, um Haltungen und die Sicht auf Kinder zu verändern. Mir ist es ein steter Wunsch das Feingefühl (die Feinfühligkeit) pädagogischer Fachkräfte für die Bedürfnisse der Kinder zu sensibilisieren.

In unserer Gruppe „Bedürfnisorientierte Kinderbetreuung“ https://www.facebook.com/groups/803032766817595/ auf Facebook möchte ich mit euch gemeinsam überlegen, was es bedeutet, die bedürfnisorientierte Erziehung in Krippen, Kitas und Horte zu bringen. Also sei dabei und verändere mit mir die Kinderbetreuung.

Liebe Grüße, eure Lea